Kaninchen-Schicksal

Als ich meine Tochter Petra um Weihnachten 2002 das letzte Mal traf, machte sie ein ganz trauriges Gesicht und fing dabei an zu schluchzen: „Stellt Euch vor, der Gustaf ist gestern gestorben!“

Gustav war ihr Kaninchen - ein prächtiger hochbeiniger Rammler, der mit seinem rehbraunen Fell fast wie ein richtiger Feldhase ausschaute. Er war schon einige Tage vorher nicht mehr allein aus seinem Stall heraus gekommen und hat auch nur noch wenig gefressen. Man merkte ihm in letzter Zeit sein Alter an. Acht Jahre hatte Petra ihren Liebling. Da er schon einige Mal Vater geworden war, hat er seine Rasse gut vererbt. Nun ruht er in Petras Dresdener Garten in der Seitenrabatte.

Gustav war ein Genießer. War die Terrassentür offen, kam er gern in das Wohnzimmer. Wenn man dort im Sessel saß, hopste er einem auf den Schoß, um sich kraulen zu lassen. Ab und zu kostete er von den Grünpflanzen im Raum. Wenn Petra dann laut mit ihm schimpfte, wusste er gleich, dass es verboten war, und setzte sich in eine Ecke.

Er war immer sorgfältig gepflegt; das Fell wurde ihm regelmäßig gebürstet. Seinen Stall und den Futternapf hielt er sauber und benutzte immer eine bestimmten Ecken als „Klo“. Sogar eine Fläschchen mit Wasser und eine Futterraufe war an einer Wand angebracht, ebenso ein Fenster, damit er rausgucken konnte.

In seinem Leben hat Gustav einiges Aufregende überstanden. Zweimal ist während eines Sturmes seine Holzbehausung umgefallen. Zum Glück ist ihm außer einem Schrecken nichts passiert, sogar die Scheibe blieb ganz.
Dann verfolgten ihn zwei große und ein kleiner Hund, als er an der Leine angebunden vor der Haustür auf dem Wäscheplatz herumhoppelte. Zum Glück war die Haustür offen und er konnte in das Haus flüchten. Der kleine Hund lief ihm bis in den Flur hinein nach und wurde von Petra in die Toilette gesperrt. Sie hatte dann noch Auseinandersetzungen mit der Hunde-Eigentümerin zu bestehen, obwohl die Hunde ohne Leine herumgelaufen waren.

Gustaf hatte gelernt, allein aus der Hütte aus- und einzusteigen. Im Garten durfte er an seiner Leine unter Aufsicht sein. Nachbarskatze Gustel wollte nichts von ihm wissen - sie fauchte ihn bei Annäherungsversuchen an. Dabei wollte Gustaf doch nur mit ihr spielen.
Eines Tages im Frühling versuchten er und Nachbars Hund sich gegenseitig zu decken. Sie hatten eben beide Frühlingsgefühle.
Auch eine Operation beim Tierarzt hat das Tier überstanden - am Hals war ein Geschwür, das behandelt werden musste.

Wenn die Familie mit ihm in ihr Wochenendhaus fuhr, saß er manchmal auf Petras Schoß und guckte - zum Erstaunen der nebenan fahrenden Autofahrer - zum Autofenster hinaus, oder er lag unten zu ihren Füßen. Als er noch kleiner war, nahmen sie einen Käfig als Schlafplatz für ihn mit. Später hatte er ein größeres Behältnis.

Im Forsthaus hätte er sich wohl gern mit Marias, meiner Enkelin, Zwergkaninchen „Hasi“ angefreundet, doch das duldete ihn nicht in seinem Gehege. Meistens hat er sich im Sommer dann dort im Garten, wo er ohne Leine hoppeln durfte, Zecken „aufgelesen“. Dann war bei beiden Hasen „Zeckenlese“ angesagt; dabei hielt Gustaf meistens ganz still.

Gustaf hat seine Familie viel Freude bereitet. Sein Tod war nicht leicht zu verschmerzen. Weil Petra gar so traurig war, brachte ihr Freund Frank gleich nach Sylvester ein neues und diesmal ein Zwergkaninchen mit: Als er abends heimkam, machte er seinen Mantel auf und holte die kleine schwarz-weiße Emmi hervor.

Weil der Gustav-Ersatz noch so klein ist, steht er jetzt im Winter zunächst in einem Käfig im Arbeitszimmer. Wenn Petra zu Hause ist, dann darf er aber schon im Zimmer herumhoppeln. Als wir Emmis erstes Bild per Mail geschickt bekamen, sahen wir nun den kleinen schwarzen Kopf ohne die Ohren, und mein Sohn Klaus meinte, es sähe aus wie ein Meerschweinchen. Nun haben wir ganz süße Bilder von der keinen Emmi gesehen und festgestellt: Es ist doch ein Kaninchen.

Möge sie der Familie meiner Schwester genau soviel Freude bereiten wie der Gustav!

Lydia Radestock, im Januar 2003

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