Wir fahren Floß!

Zu meinen Enkeln Jörg, Hans und Maria hatte ich von klein auf immer ein gutes Verhältnis. Je nach Alter kamen sie mit den schwierigsten Fragen und Angelegenheiten zu mir. Öfter schaute ich in ein Lexikon, um ihnen keine falsche Auskunft zu geben. Ihre zerrissenen Hosen reparierte ich ihnen, die ersten Liebeskummer vertrauten sie mir an ... Ich habe es bis heute nicht verraten.
Als mir das Floß-Foto mit Enkel Hans kürzlich in die Hände fiel, kam mir die Erinnerung an die Sommerferien 1988.
Wie immer zog es Hans (und nicht nur in den Ferien) damals zum Frauensee. Diesmal hatte er wieder eine tolle Idee: Ich baue mir ein Floß.
Im Schuppen und in der Umgebung des Forsthauses suchte er sich gemeinsam mit seinem Bruder Jörg alte Bretter und zwei Stämme. Dann wurden die Bohlen zersägt und in zwei Lagen auf die vier Meter langen Stämme genagelt. In den entstandenen Hohlraum stopften die Jungs Styropor, damit die Schwimmfähigkeit verbessert wird. Auch zwei Paddel zum Vorwärtskommen wurden gezimmert.
Papa Klaus half im Anschluss per PKW-Hänger beim Transport des Ungetüms zum See. Würde es auch schwimmen?
Nach den ersten Probefahrten der Radestock-Söhne war klar: Feine Sache – es klappt!
Eines Tages wollte Hans es auch mal mit der Oma Lydia ausprobieren – aus Angabe oder als Dank?
Ich traute mich, wie man sehen kann, erst nicht gleich so richtig, auf das Gefährt aufzusteigen. Denn ich hatte ja keinen Badeanzug an und keine Badekappe auf, und war mir auch meiner Schwimmkünste nicht mehr so sicher. Nur mal am Rand probieren, war mein Kommentar.
Hans leistete tüchtige Überzeugungsarbeit, und dann war es soweit: Ich stand auf den wankenden Brettern.

Es ging auch weiterhin alles gut, und Hans ruderte nun auf den Frauensee hinaus, dann immer am Schilf entlang …
Auf der Steuerbordseite machten wir uns - Hans am Bug und ich am Heck - gegenseitig auf die Nester der Schilfbrüter aufmerksam, vermieden jedoch, zu dicht heran zu fahren, um die Vögel nicht zu erschrecken.
Eine Rohrdommel brüllte uns an, Enten und Blesshühner umkreisten uns, hoch am Himmel miaute ein Bussardpaar …
Ich hatte erst große Angst, hinein zu fallen, aber nach und nach fühlte ich mich immer sicherer und hatte große Freude an diesem Exkurs in die Seefahrt. Mit leisem Bedauern ging ich nach eine halben Stunde wieder an Land.
Beim Klabautermann: das war eine tolle Fahrt. Das merke ich daran, dass ich sie bis heute nicht vergessen habe. Warum macht man nicht viel öfter solche verrückten Dinge?

Omi Radestock, im März 2009

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