Alkoholischer Eisgang
Vor langer Zeit, es ist über 100 Jahre her, gingen die jungen Burschen
unseres Dorfes nach einem Eisgang für die Gastwirte der Orte Praskowitz
und Lichtowitz im Winter regelmäßig zum Ufer der Elbe, um Eisblöcke für
deren tiefe unterirdische Bierkeller zu schlagen.
Solche Eisstücke hielten den Gerstensaft auch in einer Zeit, als an
Kühlschränke noch gar nicht zu denken war, über das ganze Jahr frisch.
Während dieser eiskalten Beschäftigung musste man sich natürlich umso
mehr von innen erwärmen: Eisbrechen und tüchtiges Trinken gehörten für
die männliche Praskowitzer Jugend zusammen wie Pech und Schwefel.
Mein Vater erzählte mir später von einem Erlebnis, das er als
Jugendlicher um 1910 hatte:
bei seinem ersten Eisbrechen überredete ihn die Bauernburschen, quasi
als Einstieg in diese Arbeit, einmal recht gewaltsam zur
"Innenerwärmung".
Sie wollten ihm damit wohl auch heimzahlen, dass er sonst im Wirtshaus
nicht mit ihnen becherte – wie denn auch: als armer Lehrling hatte er,
von seinem Stiefvater kurz gehalten, kaum Geld übrig. Seine Lehre kam
der Familie teuer genug zu stehen, denn zu dieser Zeit mussten die
Eltern das Lehrgeld für die Jugendlichen noch selbst bezahlen.
Das Trinken nicht gewöhnt, bekam er an diesem Tage natürlich viel zu
viel Bier auf einmal, das sie wahrscheinlich auch noch mit Schnaps
vermischt hatten.
Durch die unausweichliche Alkoholvergiftung konnte er in den nächsten
Tagen nicht nach Aussig zur Lehrstelle bei einer Import/Export-Firma
fahren. Welche Blamage!
Die Folge war: Niemals mehr hat er später Schnaps oder Bier getrunken.
Zum Spott und in Erinnerung an dieses Zwangsbesäufnis spendierte man ihm
im Dorf deshalb noch bis in die 19-dreißiger hinein öfters mal ein Glas
Milch im Gasthof.
Ich habe das selbst einmal miterlebt und war verwundert; nur deshalb
sprach er mit uns Kindern über sein Erlebnis.
Und das war gut so; auch wir wussten nun: Alkohol meiden oder immer nur
in Maßen!
Lydia Radestock, im Juli 2012 |