An der Volksschule in Praskowitz
Als ich am ersten September 1930 zur Schule kam, erhielt ich genau wie
alle anderen Kinder eine Zuckertüte. An diesen Tag erinnere ich mich noch
genau – er war durch widerstrebende Empfindungen geprägt:
Die Tüte ist schwer – andererseits bin ich gespannt auf ihren Inhalt.
Ich sehe bang auf die vor mir stehenden Autoritäten (Oberlehrer Kunze und
Pfarrer Draschyl; werde ich ihre Erwartungen erfüllen können?) - jedoch
freue ich mich auf den neuen Lebensabschnitt.
Von 1930 bis 1938 besuchte ich die zweiklassige deutsche Volkschule (in
der CSR gab es damals tschechische und deutsche Schulen, je nach Sprache
der Bevölkerung) in Praskowitz. Sie wurde immer sauber und in Ordnung
gehalten. Die großen eisernen Öfen in den beiden Klassenräumen wurden im
Winter von dem Schuldiener Reischel geheizt. Er hatte das Holz zu hacken,
die Kohle unterzubringen ... Seine Frau war für die Reinigungsarbeiten des
Hauses zuständig.
Vom Schulhellerverein bekamen alle Kinder sämtliche Lehrmittel und Bücher
gestellt. Jedes Jahr erhielten wir außerdem ein Paar Hausschuhe (was
besonders für die Lichtowitzer Kinder wichtig war, denn sie hatten ja
einen weiten Schulweg), Diese „Schulschuhe“ hatten, mit Namen gezeichnet,
immer ordentlich in einer Reihe im Hausflur zu stehen. War Schule, konnte
der Oberlehrer an den dann alternativ abgestellten Straßentretern sehen,
wer seine Schuhe nicht gut geputzt hatte.
Für unsere Mäntel und Jacken war ein langer Kleiderhaken in der Klasse
angebracht.
Die zwei großen Klassenzimmer befanden sich in der ersten Etage. In der
ersten Klasse gab es kleinere Bänke als in der zweiten. Die Schüler saßen
zu zweit in einer Bank.
Als Toiletten waren oben in der ersten Etage zwei Plumpsklos für Mädchen
und ein Klo mit einer Pinkelwand für Jungs eingerichtet.
Daneben befand sich das Kabinett, wo die verschiedenen Lehrmittel,
Landkarten, Zeigestöcke, Kreide ... aufbewahrt wurden.
Um acht Uhr (oder je nachdem welche Gruppe wann mit dem Unterricht begann)
mussten wir uns vor der Schule anstellen.
Mein Lehrer in der ersten Klasse war der Oberlehrer Emil Kunze. Er hatte
gleichzeitig drei Jahrgänge zu unterrichten. Das war die sogenannte
Unterstufe. Die Abc-Schützen hatten nicht so viele Stunden und konnten
deshalb mit ihrer Schiefertafel, der Fibel und dem Rechenbuch meist schon
früher nach Hause gehen. Allerdings bekamen auch die ganz Kleinen schon
jeden Tag Hausaufgaben auf. In der anderen Zeit beschäftigte sich der
Lehrer mit der zweiten und dritten Klasse.
Im nächsten Klassenraum hatten die Klassen 4 - 5 sowie 6 - 8 Unterricht.
Hier waren Lehrer Rudolf Richter, ein überaus strenger Herr, sowie
Lehrerin Hilda Procksch zuständig. Damit man, was in nur einem Raum nicht
einfach war, in Ruhe lernen konnte, wurde auch bei den „Großen“ immer
einer Klassenstufe schriftliche Arbeiten erteilt, oder die
Unterrichtszeiten variiert.
Wenn man beim Schwatzen erwischt wurde, musste man entweder ruhig eine
Stunde beim Ofen stehen oder an der Bank knien oder bekam einen Streich
mit dem Lineal oder anderem Gegenstand auf den Handrücken. Auch ich war
damit öfters dran: Mal erhielt ich vom Lehrer Richter einen Klaps mit dem
Geigenbogen, mal musste ich an der Bank knien ...
Es wurde sehr viel auf Ordnung und Sauberkeit gehalten (nicht nur bei den
Schuhen); dafür erhielt man auch Zensuren. Schuluniformen gab es nicht,
aber die Mädchen hatten Schürzen um, welche zu Hause immer abgebunden
wurden, damit sie ja sauber blieben.
Auf dem Schulhof hatten wir gruppenweise Sport. Auch für die
Handarbeitstunde (die Mädchen bei Frau Olga Schmitt) wurden wir in Gruppen
eingeteilt.
Die älteren Schüler gingen dann auch zur Kochstunde und in die
Haushaltslehre – das fand im Ausgedinge-Haus bei Jakowetzens statt.
Religion hatten wir alle gemeinsam beim Pfarrer Draschil. Er schenkte uns
bei dieser Gelegenheit ab und zu kleine Heiligen-Bildchen.
Einmal im Monat lernten wir eine Stunde tschechisch - es war Pflicht,
weil: Das Sudetenland gehörte ja seit 1918 zur Tschechischen Republik.
Unsere Schrift war „kurrent“. Geschrieben haben wir mit Tinte. Immer zwei
Schüler benutzten ein Tintenfass.
In der Schule wurde hochdeutsch gesprochen; nur unter uns redeten wir
Mundart. Das mit dem Hochdeutsch war nicht immer leicht! Die Kutscher
Annelies aus Lichtowitz wollte es einmal ganz besonders fein sagen: Herr
Aberlehrer (Oberlehrer), ich bringe für ihre Frau die Bahnen (Bohnen), sie
kosten fünf Kranen (Kronen). Damit wurde sie dann eine ganze Zeit lang
gehänselt.
Ich erinnere mich noch gut, dass wir gar oft über die vielen Hausaufgaben
gestöhnt haben, denn man hatte ja auch noch genügend Verpflichtungen
daheim zu erledigen, und spielen wollte man doch außerdem noch gern.
Kunst und Kultur kamen in meiner Schulzeit auch nicht zu kurz: Zu den
verschiedenen Theateraufführungen, welche bei den Dorfbewohnern sehr
beliebt waren, fertigten die älteren Schülerinnen immer die Kulissen und
Kostüme an.
Der Oberlehrer hatte verschiedene Stummfilme (den Text dazu las er vor),
die er uns ab und zu zeigte; dazu mussten vorher die großen Fenster mit
Decken verdunkelt werden.
Neben der Einschulung war der für mich eindrucksvollste Schultag der, an
dem einmal gegen Mittag ein Blitz in die Dachrinne der Schule einschlug.
Wir waren alle sehr erschrocken und konnten, als das Unwetter vorüber war,
nach Hause gehen.
Warum ist unsere Erinnerung nur immer derart an Extremen festgemacht?
Lydia Radestock, im September 2000 |