Aschetopfwerfen zur Federschleißzeit
Im Winter zur Federschleißzeit verübte die Praskowitzer Dorfjugend öfter
lustige Streiche. Man bedenke: Die Abende waren lang, es gab
verhältnismäßig wenig zu tun und noch keine Fernseher ...
Das traditionelle "Aschetopfwerfen" vor die Haustüren, ein uralter
Brauch, gehörte da noch zu den harmosen Neckereien. Machmal machte man
jedoch zur Federprovende, dem festlichen Abschluss des Federschleißens,
Mist im wahrsten Sinne des Wortes:
In Dorf gab es viele freistehenden Aborthäuschen, auf die es die
Spitzbuben jetzt ganz besonders abgesehen hatten.
Finger Holtens Herzhäusel beispielsweise wurde von der Dorfjugend einmal
in dunkler Nacht auf den Dorfplatz gestellt. Wie Fingers ihren Abort
danach benutzen wollten, war er verschwunden.
Der Polizist und Dorf-Nachtwächter Ritschel wunderte sich nicht, als er
bei seinem Rundgang das Häuschen mitten auf dem Platz erblickte. Er
wußte gleich: Es ist Federprovende im Dorfe - da wird wieder Unfug
getrieben. "Wer weiß, was sie noch alles angestellt haben?" dachte er
bei sich.
Der Finger Holt hat nächsten Tag sein Aborthäusel wieder abgeholt, indem
mit seinem kühe- bespannten Leiterwagen vorfuhr. Ganz harmlos wurde er
dabei gefragt: "Na Holt, willst wohl jetzt bis runter auf den Dorfplatz
zum Scheißen geh´n?". Scheinheilig waren ihm sogar einige der Hallodris
behilflich, das Häusel aufzuladen und auch wieder mit aufzustellen.
Eines Abends kam die Redlin abends vom Federschleißen und wollte schnell
noch einmal ihren Abort benutzen. Sie hatte diesmal bei Pappschens
Abschluß-Provende etwas viel gegessen und getrunken. Ihr Herzhäusel
stand draußen an der Straße am Misthaufen. Die Tür war nicht
verschlossen. Jeder, der ein Bedürfnis hatte, konnte hier hinein gehen
und den Abort benutzen. Auf Redlins Brettel saß es sich auch gar
angenehm, denn man konnte beim Sitzen durch das Herz in der Türe nach
draußen auf die Straße sehen und die Leute beobachten.
So kam es denn, dass die Redlin ihr eigenes Herzhäusel besetzt vorfand,
obwohl sie es verdammt eilig hatte. Jedenfalls saß jemand auf dem
Brettel drauf. Im Finstern konnte sie ihn aber nicht richtig erkennen.
Ärgerlich begann sie vor dem Häusel auf und ab zu wandern und von einem
Fuß auf den andern zu treten - wie man das eben tut, wenn man mal muss.
Nach einer Weile wurde es ihr zu bunt, weil sie es nun doch nicht mehr
aushalten konnte. Sie riss die Türe auf und rief: "Jetzt mehrste Dich
aus, ich muß auch mal drauf!"
Nicht geschah! Da erwischte sie das vermeindliche Weib am Rocke und
stellte fest, daß es nur eine Puppe war ... "Na, Ihr Bengels, da habt
Ihr mir ja wieder ein´s ausgewischt", rief sie übern Platz zu
Brettschneiders Laden rüber, wo einige Burschen rumstanden und schon
gewartet hatten, wie die Redlin mit der Situation fertig wird. Denn
vorher waren sie bei Pappschens Aschetopfwerfen und wußten, daß die
Redlin bald kommen mußte.
Die Puppe hat dann zur Federschleißzeit noch manche Runde gemacht - sie
sah auch ganz mollig aus und hatte eine hübsche Larve, welche man durch
ein verdeckendes Kopftuch nicht gleich erkennen konnte. Dazu hatte sie
noch Schuhe an, ausgestopfte Strümpfe, besaß Arme und Hände ... Sie war
einmal von der Rosenkranzin (meiner Mutter), der Mildnerin und der
Pappschin eigens zur Faschingszeit angefertigt worden. Eingeweiht worden
war sie dadurch, dass man sie dem Dunkel Emil ins Bett legte, als der
noch Jungeselle war und nicht ganz nüchtern aus der Gastwirtschaft kam.
Bei Storchens in der Schmiede, da war erst etwas los: Da wurde die Marie
zur Federschleißzeit im Herzhäusel durch eine leuchtende Taschenlampe
erschreckt.
Die Lampe war dem Großvater zuvor in den Abort gefallen. Da es gefroren
war, ging sie nicht unter und leuchtete nun nach oben. Wie die Marie den
Abort benutzen wollte und das Licht sah, kam sie ganz atemlos zurück in
die Stube und rief: "Emil, komm nur schnell raus, bei uns sitzt ein
verrückter Spanner im Abort und leuchtet mich von unten an!"
Das wurde natürlich auch bei den anderen Federprovenden erzählt und die
Marie nachher im Dorfe gefragt: "Sag mal, sitzt denn der perverse Mann
noch bei Euch im Abort?"
Einmal zur Federschleißzeit waren Löbels Ackerpflug und seine Eggen auf
dem Dorfplatz aufgestellt, dann wieder hatten die verrückten Bengels
etliche Haustore hingeschafft oder die Milchkannen in einer Reihe
aufgestellt ...
Bei Rosenkranzens deckte man zur Federprovende eine Glasscheibe auf den
Schornstein. Vor dem Haus warteten die Aschetopfwerfer darauf, daß man
wegen des Qualms die Fenster auf-reißen würde. Der Scherz hätte aber
gefährlich werden können, denn der ganze Rauch kam oben in der Kammer
zum Ofen heraus, wo unser Großvater schlief. Er wäre beinah erstickt.
Ein anderes Mal hat man einen großen Reklamemann von Seichens Gasthaus
aus Lichtowitz vor unsere Haustür gestellt, und dazu noch einen Stapel
Holz davor aufgeschichtet, sodaß man nicht herein und heraus konnte und
die Frauen zum Fenster einsteigen mußten, als sie nach Hause gehen
wollten. Mühselig mußten wir alles aufgestapelte Holz wieder entfernen
und neu aufstellen.
Die Gastwirtsfrau holte dann den Papp-Mann wieder ab, nachdem sie
erfahren hatte, wo er sich befand.
Einmal hatten die jungen Burschen einen Schlitten voll Mist geladen und
bei Ulbrichs auf das Dach des Ausgedingehäuschen gestellt. Denn: Das
Häuschen war am Hang gebaut, und das Dach ging gleich von der Straße weg
hoch.
Ja ja, im Winter und besonders bei einer Federprovende mußte man bei uns
mit manchem Schabernack rechnen! Und so flink war der Nachtwächter
Ritschel auch nicht mehr auf den Beinen, um den Unfug zu verhindern -
überall konnte er nicht sein! Aber er gab sich Mühe: Besonders abends -
da hörte man ihn schon von weitem, wenn er mit seinem großen Stock die
Runde durch das Dorf machte. Jedoch ehe er wieder zurück kam, waren sie
längst fertig mit ihren Untaten, denn es waren ja immer mehrere bei so
einer Sache dabei.
Mancher von den üblich-verdächtigen Gören bekam dann schon mal
vorbeugend einen Klaps, wenn er sie tagsüber erwischte - deshalb machten
wir als Kinder und Jugendliche auch lieber immer einen großen Bogen,
wenn wir den Ritschel kommen hörten.
So gehört auch das Aschetopfwerfen zur Federschleißzeit zu den
besonderen Erinnerungen meiner Kinderzeit, und ich verstehe heute das
Dichterwort "Jugend ist Trunkenheit ohne Wein" auch aus dieser
Erfahrung.
Lydia Radestock, im Januar 1993 |