Das „politische“ Akazienblütenfest 1938

Alljährlich fand bei uns im Nachbarort Lichtowitz an der Elbe / Sudetenland an einem Tag im Juni das Akazienblütenfest statt.

Lichtowitz, das Praskowitzer Nachbardorf, war damals ein wunderschöner anerkannter Erholungsort, bewohnt von etlichen Bauern und Häuslern. Es gab 5 Gastwirtschaften und das Elbehotel, eine Badeanstalt am Fluss sowie einen abgeteilten Bereich am Ufer zur Säuberung der Pferde und Rinder der Bauern.
Der Ort war (nicht nur zur Akazienblüte) von Fremden gut besucht - etliche Leute kamen als Stammgäste und hatten oft immer ihre gleichen Quartiere. Das kam daher, dass er mit der Eisenbahn, mit dem Dampfschiff der Weißen Flotte und natürlich auch per Auto gut zu erreichen.

Durch die Ortsgemeinde-Verwaltung wurde die Umgebung immer gut gepflegt, und zusätzlich hatte der deutsche Fremdenverkehrsverein die Wanderwege mit bunten Verkehrsschildern gestaltet;
etliche Bänke luden die Sommergäste zu einer Rast an den vielen Wanderwegen ein.
Einen besonderen Ausblick gab es vor der Schutzhütte am „Stein“ – hier oben hatte man eine gute Aussicht über das Dorf Lichtowitz bis hin nach Praskowitz mit seinem dicht am Elbufer stehenden Gotteshaus, sowie auch auf das gegenüberliegende Elbufer mit dem Dorf Libochowan und dessen gotischer Kirche, ringsherum auf den Winterberg, den Eisberg, die Kamaiker Burg ...

Aber zurück zum Akazienblütenfest.
Der Anlass war immer: Die Robinie (bei uns grundsätzlich „Akazie“ genannt) entfaltet zu diesem Zeitpunkt den betörenden Duft der schönen Blüten.

Jeder kann sich auch heute noch davon überzeugen: Die unzähligen, in großen lockeren Trauben angeordneten weißen Schmetterlingsblüten lassen dieses Laubgehölz dann für kurze Zeit einem festlich geschmücktem Weihnachtsbaum ähneln. Mit diesem Bild erfreut uns die Robinie von ihrem 20. Lebensjahr an; sie blüht und fruchtet dann alle ein bis zwei Jahre.
Die wohlriechenden Kelche enthalten übrigens außerordentlich viel Blütenstaub und Nektar. Sie sind deshalb ein „Eldorado“ für viele Insektenarten und zählen zu den zuckerreichsten Bienentrachtpflanzen.
Der helle Robinienhonig ist von feinem Aroma und gutem Geschmack. Er war deshalb auch in unserer Umgebung damals ein beliebtes Volksnahrungsmittel.
Fast alle Bauern in der blütenreichen Elbetalumgebung betätigten sich deshalb als Bienenzüchter.
Auch meine Vorfahren wie der Großvater Josef Schimke, der Onkel Franz Schimke/Eitel (sein Bruder) in Libochowan und auch der Onkel Josef Schimke/Wiedek aus Salesel waren neben ihrer Landwirtschaft leidenschaftliche Bienenfreunde.

Der Lichtowitzer „Akazienhain“ zog sich vom Ortseingang in Richtung Kottomirsch (bzw. Dubkowitz) links am Fuße des Klompenberges am Hang hin - bis hinauf zur Schutzhütte. Der Berg fiel neben dem sogenannten Fürstensteig ganz schroff direkt neben der Elbe zu deren Ufer ab.
Dazwischen lag noch der Schienenstrang der Bahn Aussig - Lobositz.
Diese Landschaft liegt direkt an der Porta Bohemica, also an der engen kurvigen Stelle, an der sich die Elbe durch das Böhmische Mittelgebirge zwängt.

Das war die wunderschöne Gegend, in der im Juni 1938 (also vier Monate vor dem Anschluss des Sudetenlandes an Deutschland) von den Lichtowitzer Dorfbewohnern das Akazienblütenfest als letztes großes deutsches Volksfest dieser Gegend gefeiert wurde.
Der Anlass zu diesem Baumfest war diesmal auch ein politischer: Damals - Anfang Juni 1938 - war der Besuch des Chefs der Sudetendeutschen Partei, Konrad Henlein, angesagt, welcher zu dieser Zeit im Exil in Deutschland lebte.
Er hatte sich zu einer Ansprache bereit erklärt.

Das Fest begann mit einer katholischen Frühmesse, welche der Praskowitzer Pfarrer Draschil an der Kapelle mitten im Dorf Lichtowitz zelebrierte

Am Festplatz an der Elbe war vor dem Elbehotel „Freiburg“ eine Tribüne für die Blaskapelle aufgestellt. Hier stand auch ein Rednerpult, an dem die Festrede gehalten werden sollte.
Ringsherum - am Elbufer entlang und die Straße entlang in Richtung Tschernosek - stand eine Verkaufsbude an der anderen, mit allerlei Angeboten, wie es auf den Festen früher bei uns so üblich war: Lebensmittel, Süßwaren, Speiseeis, natürlich Akazien-Honig …
Auch Karussels, Luftschaukeln, Ringelspiele … gab es natürlich.

Tausend Deutsche von nah und fern waren gekommen, um Konrad Henlein zu sehen und sprechen zu hören.
Etliche deutsche Vereine und natürlich auch der Turnverein mit uns Lichtowitzer und Praskowitzer Mädels und Jungen nahmen nachmittags geschlossen daran teil.
Wir Mädels kamen alle in unseren Dirndlkleidern und weißen Kniestrümpfen, die Jungs mit schwarzen Hosen und weißen Hemden. Das war übrigens die Kluft, mit der damals in ganz Böhmen die deutsche Jugend kenntlich war – unser „Markenzeichen“.

Alle waren in der Folge froh, dass das Fest ohne Störungen durch tschechische Jugendliche gefeiert werden konnte - was damals nicht immer der Fall war. Bei dieser riesigen Menschenansammlung war es den Tschechen wahrscheinlich zu riskant, Ärger zu bereiten.

Versteht ihr nun, dass ich immer an meine alte Heimat denken muss, wenn die Robinienblüten prangen und duften? Das ist übrigens auch im Garten unserer Neue-Mühler Seniorenanlage so …

Derzeit wird es nun draußen Frühling. Ich freue mich schon wieder drauf – ganz besonders aber auf „meine Akazienblüten“.

Lydia Radestock, im März 2011

zurück