Die Kamaiker Burg

In meiner alten Heimat, dem Elbetal nahe der Böhmischen Pforte im Sudetenland, gibt es zahlreiche Burgruinen. Eine davon ist sogar weltberühmt – oder kennt jemand nicht das Gemälde „Überfahrt am Schreckenstein“ von Ludwig Richter?

Ein paar Kilometer südlich steht, ebenfalls auf der rechten Elbeseite und etwas abseits vom Fluss, zwischen dem Eisberg und dem Hradeker Wald die Burgruine Kamaik.
Als ich noch in Praskowitz zu Hause war, konnte ich sie von unserem Küchenfenster aus täglich sehen. So manches Mal habe ich das Gemäuer in meiner Jugendzeit besucht.

Während ich neulich wieder einmal in alten Fotos blätterte, fand ich auch das Bild meiner Großmutter, die vor nunmehr 142 Jahren, am 07.12.1862, am Fuße dieser Burg im Bauernhaus Kamaik Nr.11 geboren wurde.
Vor ein paar Jahren hatte ich einmal meinem Sohn zeigen wollen, wo meine Großmutter aufgewachsen war. Als wir dort anlangten, stellte sich der in meiner Erinnerung schöne große Bauernhof leider als inzwischen halb verfallen dar. Die Burgruine selbst zu besichtigen war mir wegen meiner Gehbehinderung nicht möglich. Mein Sohn hat sie jedoch erstiegen. Er erzählte mir dann, dass es ein ganz mühsames Klettern durch enge Schlote gewesen wäre – ihm war, als hätte dort schon seit Jahren kein Mensch mehr seinen Fuß gesetzt. Zum Schluss ward er dann aber mit einem herrlichen Ausblick auf das Elbtal belohnt.

Die ehemalige Ritterburg Kamaik ist leider bereits sehr zerfallen. Schon in meiner Jugend waren viele der geschickt um einen steilen Felsen errichteten Wehrbauten nur noch zu erahnen. Umso lebendiger blieb mir und anderen Praskowitzern die Geschichte von den Kamaiker Raubrittern.

Der Sage nach hausten hier im Mittelalter grausame adelige Wegelagerer, welche das umliegende Land raubend und plündernd terrorisierten. Weil es aber unter diesen Raubrittern manche Fehde gab, wurden auch die Kamaiker oft überfallen. Um sich bei so einem Überfall retten zu können, wenn die Vorräte aufgebraucht waren, ließen sie sich durch Gefangene und Fronbauern (die man hinterher tötete, um das Geheimnis zu wahren) einen unterirdischen Stollen herunter bis zu dem Dorf Srepnitz bauen. Alte Leute aus dem Dorf erzählten, man wäre noch im 19. Jahrhundert auf Reste eines halb verfallen Ganges gestoßen.

Sogar die drei großen eisernen Kreuze auf dem kahlen Drei Kreuzberg an der Böhmischen Pforte, welcher steil vom Ufer der Elbe empor ragt, werden mit den Kamaikern in Verbindung gebracht:
Einer dieser Ritter soll einst drei Mädchen verfolgt haben. Um ihm zu entgehen, stürzten sich die drei Jungfrauen vom Felsen herab. Nach diesem traurigem Ereignis heißt der Berg seither „Drei Kreuzberg“.

Was gäbe ich heute darum, noch einmal mein Praskowitz von den verfallenen Zinnen der Kamaiker Burg betrachten zu können?!


Lydia Radestock, im Dezember 2004

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