Die Praskowitzer Überfähre

Früher konnten wir mit einer Überfähre von meinem Heimatort Praskowitz über die Elbe in den Nachbarort Libochowan fahren. Wenn Fuhrwerke, Autos, Motorräder, Fahrräder oder - im Sommer an Sonntagen viele Urlauber - übergesetzt werden wollten, dann war die große Prahme im Betrieb. Sie wurde an einem Drahtseil mit einer Kurbel herüber gezogen. Frau Matzke, die Frau des Überfährers, saß dann mit einer Ledertasche um den Bauch in einer Ecke und kassierte das Fahrgeld. Wenn die weißen Ausflugsschiffe oder Frachtkähne kamen, wurde die Prahme an das Ufer gefahren und das Drahtseil auf den Elbegrund gesenkt, damit keine Havarie entstand.

Es war von früh bis spät immer jemand da, der übergefahren werden wollte. Wenn sich abends die schwere Fahrt mit der Prahme nicht mehr lohnte, wurde mit einem Kahn oder nach einem bestimmten Zeitplan gefahren. Manchmal borgten sich (wenn es sehr spät abends war) dem Überfährer bekannte Dorfbewohner auch einfach den Kahn aus; sie holten sich dann vorher beim alten Matzke den Schlüssel für das große Schloss, fuhren allein über die Elbe und legten ihn an eine vereinbarte Stelle ab. Es waren an beiden Ufern Fährhäusel für den Überfährer errichtet, in denen er sich aufhalten konnte. Denn das Wetter war ja manchmal kalt und regnerisch.

Im Jahre 1924, ich war wenige Wochen alt, gab es für mich eine ganz und gar missglückte Überfahrt: Meine Mutter hatte mich mit dem Kinderwagen (damals mit sehr großen Rädern) beim Aussteigen am anderen Ufer in die Elbe gekippt! Sie war zu früh losgefahren und blieb am Laufsteg des Geländers der Prahme hängen, weil diese noch nicht richtig festgemacht war. Mutter rief vor Schreck: "Ihr Leute, helft uns bloß schnell aus dem Wasser heraus". Dazu war auch noch der Schnuller weg! Der Überfährer Matzke meinte: "Igitt, igitt, jetzt bekommt das Mädel gleich zweimal die Taufe mit"! Er hat meine verschreckte Mutter und mich in´s Fährhäusel zum Trocknen mitgenommen.

Meine Mutter war als junge Frau sehr eigen und hatte den neuen Kinderwagen mit Rüschen und rosa Bettchen ganz fein gemacht. An diesem Tag hat sie mich und dieses schmucke Gefährt eigentlich ihren Angehörigen in Libochowan zeigen wollen. Natürlich ward sie stattdessen dann mit diesem Malheur lange Zeit im Dorfe gehänselt. Das Ereignis wurde im folgenden Winter sogar in verschiedenen Aschebriefen zum Federschleißen bekannt gegeben, denn es waren ja auch andere Praskowitzer mit auf der Fähre gewesen. Mutter hat es mir und meinen Kindern später oft erzählt.

Seit um 1960 die von Aussig kommende neue Straße an der Elbe lang gebaut worden ist, gibt es keine Überfähre zwischen Praskowitz und Libochowan mehr; sie könnte auch nicht mehr an den steilen Elbufern in Praskowitz anlanden. Wenn man jetzt auf die andere Elbeseite gelangen möchte, muss man bis nach Aussig oder Leitmeritz fahren.

Lydia Radestock, im Juli 1997

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