Fasching daheim

Seit vielen Jahren habe ich aus gesundheitlichen Gründen keine Faschings-Veranstaltung mehr besuchen können. Nur noch im Fernseher kann ich dem fröhlichen Treiben vermummter Masken bei Bällen und Umzügen zusehen.

Was hat es eigentlich mit dem Fasching auf sich? Ich habe mich belesen und folgendes herausgefunden:
Das frühere Weihnachtsfasten, der heutige Fasching (Fastnacht=Fasching?), begann am 11.11. (also zu Martini), und zwar pünktlich um 11.11 Uhr. An diesem Tag geben bekanntlich die Bürgermeister vieler Orte traditionell im Beisein der Bevölkerung vor der Stadtverwaltung den Rathausschlüssel (und somit die Macht) an das Faschingsprinzenpaar ab – die „närrische Zeit“ beginnt. Sie ist gewiss auch Ausdruck der Fröhlichkeit und des Lebensmutes der Menschen in der Zeit kürzer werdender Tage und häufigerem „Mist-Wetter“.

So richtig gefeiert wird dann allerdings erst im Februar: Laut Überlieferung erschien um 1133 in Köln erste Karnevalswagen mit vermummten Masken zu einem Umzug durch die Stadt. 1341 fanden dann, von der Domstadt ausgehend, am Rosenmontag alljährliche Karnevalsumzüge und Maskenbälle zu beiden Ufern des Rheins statt. Diese Sitte hat sich in den folgenden Jahrhunderten nach und nach fast in der ganzen Welt verbreitet.

Auch in meiner alten Heimat im Sudetenland gab es bis zum 2. Weltkrieg fröhliche Fastnachtveranstaltungen. Der Höhepunkt des Trubels war der Faschingsdienstag - da fanden bei uns in Praskowitz an der Elbe die Maskenumzüge statt. An diesem Tag hatten wir Kinder immer schulfrei.
Mit einer Blaskapelle (ich habe noch heute die große und die kleine Trommel deutlich „im Ohr“) zogen die Masken singend, spielend und tanzend von Hof zu Hof. Es gehörte immer mit dazu, dass ein mit zotteligem Pelzmantel und großer Tiermaske auf dem Kopf als Bär verkleideter angeketteter kräftiger Bursche mitsamt seinem Bärentreiber den Zug anführte. Wir Kinder hatten immer etwas Scheu vor dem großen Bären!

Mit diesem Umzug und dem Gaudi vor- und nachher sollte, so hatten es uns die Altvorderen überliefert, der Winter vertrieben werden.
Und das haben wir dann gründlich besorgt. Es gehörte schon eine robuste Natur dazu, die drei tollen Faschingstage durchzuhalten. In jedem (!) Bauernhof wurde damals abends für die Erwachsenen auch Alkohol ausgeschenkt. Für uns Kinder, die wir tagsüber von Hof zu Hof gingen und um Faschingsgaben baten, gab es überall Krapfen (Pfannkuchen) oder Waffelgebäck mit Malzkaffee oder Kakao.

Das durch uns Gesammelte (Eier, Speck, Geld ...) wurde dann am Aschermittwoch in aller Stille von den Festteilnehmern verzehrt und vertrunken. Denn am Faschingsdienstag pünktlich um 24.00 Uhr war das fröhlich Treiben vorbei. Darauf achteten die Bauern in unserer Gegend streng, weil galt: Feste Feiern – aber danach auch wieder feste arbeiten!

Wenn ich heute sehe, wie in meinem derzeitigen Wohnort Eisenhüttenstadt mancherorts bis fast zu Ostern noch Fasching gefeiert wird (oder wenn viele Geschäfte sich bereits im Oktober für Weihnachten rüsten), sage ich mir im Herbst meines langen Lebens:
Es war vielleicht diese Fähigkeit, Maß zu halten und den Kontrast zwischen harter Arbeit und fröhlichem Fest zu genießen, sich gleichsam die Möglichkeit der Vorfreude als der bekanntlich schönsten Freude nicht nehmen zu lassen, die uns damals in meiner alten Heimat Glück, Lebensfreude, Zufriedenheit und „Seelenfrieden“ in einer Weise bescherte, wie ich sie heute bei vielen Mitmenschen (die nur noch „meckern“) nicht mehr feststellen kann.

Lydia Radestock, im Februar 2003

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