Faschingsball mit Baby und Gans
1935 - wieder einmal ist Faschingszeit in Praskowitz an der Elbe. Die
Frauen im Dorfe tun gar heimlich, zaubern Kostüme hervor und gucken in
alle Truhen und Ecken, um noch etwas besonders Originelles zu entdecken:
Vergangnes Jahr waren die Rokoko-Damen dran; auch die Themen Zigeuner,
Schornsteinfeger, Clown, Dirndl, Köchin, Riesendamen - alles schon mal
da gewesen! Was in aller Welt fangen wir also heuer an? Und bloß nicht
schon wieder Japaner oder Chinesen ... Es dauert lange, eh´ sie sich
alle einig sind: Wir wollen mal an die 1900er Mode heran!
Schon kommen einige Frauen mit entsprechen Blusen, Röcken und großen
Federhüten an! Pappschens Großmutter wollen sie gar nötigen: Bei der ist
doch oben auf dem Boden noch ein um 30 Jahre alter Zwillings
Korbkinderwagen mit großen Holzrädern vorrätig!
Jetzt kommt aber die spannende Frage: Wer legt sich dort hinein? Denn
echt soll es schon sein! Die Mildnerin ruft gleich: Ich spiele den
Streich, bin zierlich und klein, da passe von uns allen nur ich hinein!
Knöchels Albin, den Fleischer Gesellen, gewinnen sie für die Rolle als
Amme. Gar stramm sieht der große Lümmel mit den zwei schweinsblasenen
Brüsten unter dem Bademantel aus.
Lustig geht es dann mit dem geschmückten Wagen an Faschings Sonntag spät
abends dem Gasthaus zur Krone entgegen. Fast hätte der Inhalt auf der
Straße gelegen: Ein Rad geht ab, doch der Albin (Mann ist Mann!) fängt
es auf und schiebt geschwind den Splint wieder drauf.
Mit großem Tusch werden im Wirtshaus die späten Masken begrüßt. Wie dann
die Mildnerin im Wagen rings um den Saal gefahren wird, krümmen sich
alle vor Lachen wie die Aale. Ihr Mann, der Emil meint: Der Bengel da
drin kann doch nur meine Frau sein! Sie sieht ganz manierlich aus. Man
hat sie als ein richtiges 1900er Baby angezogen: Im Hemdchen, Lätzchen,
mit einem großen Schnuller ... sitzt sie im Wagen drin, eine Babymaske
über das Gesicht gedeckt, damit nicht gleich jeder weiß, wer dahinter
steckt.
Amme Albin ruft: Macht Platz, ihr Leute, und Ihr Musikanten haltet ein -
nun will ich Kind erst einmal stillen. Er bleibt mitten im Saal stehen
und lässt seinen großen „Busen“ sehen. Sogar einen Fotografen für ein
Erinnerungsfoto haben die Frauen bestellt – der tritt jetzt in Aktion.
Die alten Frauen unter dem Chore auf den Bänken wollen sich bei dieser
Szene fast die Köpfe verrenken. Dazu müsst Ihr wissen: Die Musiker
spielten in der „Krone“ auf erhöhter Holzempore. Darunter saßen immer
die Großmütter des Dorfes - sie beobachten genau, was im Saale geschah:
Wer wie oft mit wem tanzt, oder wieder ein neues Kleid vorführt ...
Damit hatte man dann wieder für lange Zeit Gesprächstoff. Das war ganz
wichtig fürs Wohlbefinden, denn es gab ja noch kein Fernsehen, und Radio
oder Zeitung hatte damals auch nicht jeder.
Sogar die Männer, welche an der Theke standen, stellen ihre Biergläser
hin, denn auch sie wollen der Albin-Amme zusehen.
Bald jedoch fangen alle Masken an, sich wieder im Kreise zu drehen, es
ist ja auch schon zehn. Nun soll es bald zur Demaskierung gehen.
Natürlich hat der Albin mit seinem Baby den ersten Preis gewonnen. Die
große Preistorte hat nicht lange überlebt – sie wird an Ort und Stelle
an alle Beteiligten aufgeteilt.
Die Stimmung im Saale des Gasthauses zu Krone ist nun fast auf dem
Höhepunkt, da meinen die Mildnerin und die Pappschin: Das kann doch noch
nicht alles gewesen sein! Was machen wir noch? Sie tuscheln lange
miteinander.
Es ist bald Mitternacht und große Pause, da huschen die beiden schnell
hinten aus dem Saal zum Garten hinaus. Sie gucken um die Ecke - bei
Rosenkranzens ist das Licht längst aus.
Leise schleichen sie durch Rosenkranzens Hoftor. Es dauerte nicht lange,
da kommen sie wieder heraus, und auf dem Arm hält die Mildnerin ein
schnatterndes, in eine Decke gewickeltes Federvieh. Damit es keiner
hören kann, hält sie der Gans den Schnabel zu.
Die Rosenkranzin (meine Mutter) ist ja sonst immer mit dabei auf jedem
Tanzvergnügen. Diesmal jedoch hat sie einen Hexenschuss erwischt und
kann trotz Einreibung, Wärme und Massage vor lauter Qual einfach nicht
mit zum Maskenball.
Sie kommt auch früh nur humpelnd in den Stall. Oh` Schreck, ruft sie
gleich zu uns in die Stube herein, unsere Zuchtgans ist weg! Sie sucht
überall vergeblich – die Gans ist nicht mehr da. Dabei war doch der
große Riegel zu, und wegen der Kälte auch die Strohgarbe noch als
Wärmeschutz vor der Stalltür!
Die Großmutter macht ein Gejammer und Gezeter: Die Gans aus dem Stall,
bei dem Frostwetter - das ist doch viel zu kalt, die ist ja schon sieben
Jahre alt! Weil die Gans so zahm ist, haben wir sie alle lieb und sind
nun ganz traurig, dass sie weg ist. Jedes fremde Wesen, was auf den Hof
kommt, kündet sie uns immer mit lautem Geschnatter an – einen besseren
Wächter finden wir nie wieder. Außerdem - sie bringt alle Jahre zweimal
Junge. Das meinte nun auch noch der Großvater dazu.
Meine Mutter jedoch überkommt inzwischen so eine Ahnung - das Ständchen
früh um vier vor unserer Haustür, das war bestimmt eine Art Mahnung! Nun
will sie mal im Dorfe herumfragen, was sich denn gestern beim Maskenball
wieder zugetragen hat.
So schnell sie kann ist sie also über den Dorfplatz hinweg zu ihrer
Schulfreundin, der Mildnerin, gehumpelt - die sitzt mit ihrem Emil
gerade noch etwas verschlafen beim Kaffeetisch.
Gleich ruft sie erregt zu Tür hinein: Stellt Euch mal vor, unsere
Zuchtgans ist weg, bei wem die bloß steckt.? Wo kann sie nur sein? Der
Mildner Emil grinst: Keine Angst, Rosenkranzin, im Dorfe wissen es alle,
für einen Braten ist die doch schon viel zu alt!
Die Mildnerin meint: Komm erst mal rein; wir werden Dir alles erzählen.
Wir waren heute Nacht in Euerm Stall, haben die Gans in eine Decke
gepackt und auch den Stall wieder richtig zugemacht. Du, die Sache mit
der Gans war fein und brachte mir auch noch einen Solotanz und
Sonderpreis ein. Es war eine Gaudi, das kann ich Dir sagen. Und keine
Sorge: Eure Gans ist in Ullrichs leerem Schweinestall; wir holen sie
gleich. Ihr ist nichts geschehen - die ist noch in keiner Pfanne".
Am schönsten hat ihrer Erzählung nach den Musiker Fischer erwischt - dem
Tierfreund ging es schlimm an den Kragen. Der legt nämlich nach dem
Solotanz seine Klarinette auf das Notenbrett und sagt: Die Gans tut mir
leid; Ihr seid wohl nicht gescheit! Ich bringe sie rüber auf
Rosenkranzens Hof - jetzt in der kleinen Pause habe ich doch Zeit.
Gleich zieht er mit ihr los.
Doch als er vor dem Stall mit der Gans in der Decke sich bückt, wird er
von einem Spaßvogel mitsamt dem Federvieh in den Stall gedrängt!
Hinterdrein bekommt er noch ein großes Bündel Stroh dazu - damit sie
beide nicht frieren sollen. Im Stalle ist es natürlich finster und kalt.
Es riecht auch nicht fein, denn einige Tage vorher lebte dort noch dem
Josef Ullrich sein Schwein.
Dann hakt der Kerl auch noch schnell zu: So jetzt habt ihr beiden erst
einmal Ruh´!
Etwas später ward es dem Fischer dann sehr kalt, und die alte Gans hat
ja auch wenig Hitze und wärmt ihn nicht. Sein Rufen verhallt im Hof, und
war ja bei dem Musik-Lärm und Tumult der beschwipsten Leute im Saal
ohnehin nicht zu hören. Denn es wird natürlich inzwischen wieder
getanzt, gibt ein Geschiebe und Geschubse, die Stimmung kommt richtig
auf die Spitze – fast ist es um dreie, und mach einer fällt nun auch
schon vom Sitze.
Da vermissen die Leute plötzlich den Klarinetten Ton und denken: Solange
sitzt man doch draußen bei der Kälte auf dem Hofe im Herz-Häusel nicht
auf dem Thron?! Wo mag denn nur der kleine Fischer stecken? Es wird ihm
doch nichts passiert sein? Sie gucken hinter die große Trommel und auch
in alle Ecken.
Ja, einer nur wusste ganz genau, dass der Fischer draußen bei der Gans
noch sitzt. Doch da fällt es auch den andern ein wie Schuppen aus den
Haaren: Der wird doch nicht etwa noch im Rosenkranzens Stalle sein?!
Sie stürmen hinaus und leuchten mit einer Lampe in den Verschlag hinein
- tatsächlich, da sitzt er ganz hinten in der Ecke unter der Decke im
Stroh, umarmt die Gans, zieht einen Flunsch und meint: Ihr seid ja
gemein - lasst mich bloß wieder in den Saal hinein. Und gebt mir gleich
einen Punsch, aber heiß, denn hier draußen friert man ja heute zu Eis!
Wieder im Saal, trägt er es mit Humor, hebt seine Klarinette empor und
spielt oben auf dem Chore fleißig den Leuten noch ein paar Stückeln bis
zum Kehraus vor. Dann wankt er gemeinsam mit allen, die bis jetzt noch
durchgehalten haben, zum Ständchen zu Rosenkranzens an das Tor.
Zwischendurch muss er niesen und denkt: Das gibt einen Schnupfen, das
sollen die mir büßen, mir fällt schon was ein. Wir gehen ja am
Faschings-Dienstag noch mit den Masken und dem Bären beim Umzug durch
das Dorf in alle Bauernhöfe rein - da wird dann schon irgendeine
Gelegenheit zur Vergeltung sein!
Zuerst jedoch muss er zu Hause gründlich baden und lange seine Sachen
lüften, denn der Aufenthalt im Stall machte sich doch sehr bemerkbar.
Gewiss denkt er sich dabei: Wie werde ich bloß den Spott ertragen, denn
man wird mich ja noch lange nach der „Gansnacht" fragen?!
Wir jedenfalls waren alle heilfroh, dass wir unsere Gans zurückbekommen
haben. Geschlachtet wurde sie nie, und auch nicht wieder ausgeborgt!
Wer den Fischer einsperrte, ist dann auch rausgekommen: Der Trödel Ernst
war’s! Wie aber die Rache des Musikers zwei Tage später ausgefallen ist,
habe ich vergessen.
Lydia Radestock, im Februar 1999 |