Faschingszeit in Praskowitz
Bei uns im Elbetal des Sudetenlandes war es wie anderswo auch seit
Alters her und schon von den Urahnen überlieferter Brauch, an Fasching
„tüchtig einen drauf zu machen“.
Das begann Sonntag mit einem Maskenball, gipfelte am Rosenmontag in
lustigem Treiben aller Art und endete am Faschingdienstag damit, dass
das närrische Volk jeweils hinter einer Blaskapelle her durch das Dorf
zog.
In diesen drei tolle Tagen sollte nach der Meinung der Bauern der Winter
ausgetrieben werden, damit die Arbeit auf den Feldern wieder beginnen
konnte.
So hielten es auch wir Praskowitzer, und erlebten bis zum unglückseligen
Jahr 1939 eine abwechslungsreiche Faschingszeit.
Ich habe als Kind (als das Festefeiern kriegshalber ausfallen musste,
war ich 15) natürlich vor allem die tollen Festumzüge in Erinnerung, und
von denen möchte ich heute einmal berichten.
Einige unserer Dörfler waren dem närrischen Treiben - nicht nur
musikalisch - ganz besonders verbunden: Zu meiner Zeit waren der
Pappisch-Willy mit seiner Klarinette und der Finger-Reinhold mit seiner
Posaune jedes Mal mit dabei.
Natürlich gehörten zu den Musikern auch die Trommler und die Pauker,
aber deren Namen habe ich vergessen. Außerdem gab es meist einen "Bären"
mit seinem Treiber in dem Zug, und vermummte Masken dazu, welche von
einem Bauernhof zum anderen zogen, um dort zu tanzen, zu singen und um
Gaben für den Aschermittwochschmaus zu bitten.
In Praskowitz war über viele Jahre hinweg der Joch-Fred unser Bär. Er
kleidete sich dazu mit einem alten umgedrehten Pelzmantel und einem
großen Bärenkopf aus Pappe. Dazu gehörte auch ein strammer Bursche, der
Bären-Treiber.
Als Hauptmann sammelte der Hieken-Fritz senior auf einem großem Säbel
geräucherten Speck ein.
Der Bimsche-Ritschel wiederum hatte als Knecht einen Buckelkorb mit
Sägespänen aufgehuckt; darin wurden Eier gesammelt.
Unser damalige Feuerwehrhauptmann, der Ulbrich - Bauer, war
"Bankverwalter" und verwahrte das unterwegs gespendetes Geld in einer
Büchse.
Man musste schon sehr robust sein, um die Bälle, anderen Lustbarkeiten
aller Art und dann auch noch so einen vielstündigen Umzug durchzustehen,
bei dem ja in allen (!) Bauernhöfen zu tanzen war - das war schon eine
Strapaze. Denn: Überall wurde reichlich Bier ausgeschenkt und mancher
Schnaps dazu getrunken. Nebenbei gab es noch die mit Pflaumenmus
gefüllten Faschingskrapfen (Pfannkuchen) und hier und dort ein Tüppel
Kaffee.
Da konnte es schon vorkommen, dass mal verpennt wurde und das Vieh im
Stall sein Futter erst später bekam!
Ganz besonders erinnere ich mich daran (es hat mir wohl ganz einfach
imponiert), dass Tischlermeister Kohlruß` Frau, als Jüngling verkleidet,
sehr viel Spaß mitmachte und immer bis zum Schluss des Umzuges dabei
war. Auch ohne Alkohol fühlte sie sich wohl.
Bei so einem Faschingsumzug hatte sich der junge Schneidermeister Franz
Prokesch einmal - es war 1935 - als Clown verkleidet zum Jux auf den
Voland eines Lastwagens gesetzt, welcher während des Umzuges auf der
durchführenden Verkehrsstraße langsam durch das Dorf fuhr. Die Fahrer
des LKW machten sich einen Spaß, fuhren immer schneller weiter und
hielten erst in Aussig wieder an.
Es war ziemlich frisch an dem Tag, und Geld hatte der Franz auch nicht
dabei. Deshalb ging er in Aussig zum Bahnhofsvorsteher, berichtete ihm
sein Missgeschick und ließ sich eine Fahrkarte für die Bahnfahrt nach
Praskowitz „anschreiben", die er am nächsten Tag bezahlte. Seine
„romantische Autofahrt" hatte ihm außer viel Spott noch einen tüchtigen
Schnupfen eingebracht.
Ein andermal hatte sich eine Gruppe Praskowitzer Frauen, darunter die
Pappschin, Mildnerin, Rosenkranzin (meine Mutter), Fritschin, Burmanin
und Storchin für den Umzug als Zigeuner verkleidet. Sie waren vom Frisör
so zurecht gemacht, dass sie ganz echt wirkten und von einer Gruppe
richtiger Zigeuner (es waren dunkelhäutige Menschen von indischem
Aussehen - heute würden sie als Roma bezeichnet), welche an diesem Tag
auch in Praskowitz weilte, kaum zu unterscheiden waren.
In der Folge wurden alle echten und falschen Zigeuner eingehend vom
Polizei- und Nachtwächter Ritschel kontrolliert. Das war natürlich ein
Jux für die Frauen, und erst für den Ritschel, als er endlich merkte,
wen er da vor sich hatte. Schon seine Reaktion war den Frauen ein Spaß.
Für die Roma wird es allerdings weniger spaßig gewesen sein. Denn: Den
echten Zigeunern war es in der damaligen Zeit verboten, sich unter die
Masken zu mischen oder an dem Faschingsumzug teilzunehmen, weil die
Bauern Angst um ihre Hühner, Hunde, Katzen und Kaninchen hatten. Das
"fahrende Volk" durfte sich damals nur jeweils einen Tag im Ort
aufhalten.
An Unterricht in der Dorfschule war zum Faschingsumzug natürlich nicht
zudenken. Wir Kinder hatten immer schulfrei und konnten bei den
Maskenumzügen am Tage immer mit dabei sein. Oftmals hatten auch wir uns
mit Gesichtslarven bekleidet. Für uns gab es bei den Umzügen in
einzelnen Häusern meistens Krapfen zu essen, Malzkaffee zu trinken und
natürlich viel zu sehen, was dann hinterher noch wochenlang
Gesprächsstoff im Dorf gegeben hatte.
Der Faschingsdienstag endete mit Musik und Tanz um 24.00 Uhr - da war im
Gasthaus zur Krone mit dem Paukenschlag der großen Trommel der
„Zapfenstreich". Und damit war das Faschingstreiben beendet. Nun konnte
man sich endlich wieder richtig auszuschlafen und Rezepte austauschen,
um den Faschingskater zu vertreiben.
Am folgenden Tag, dem Aschermittwoch, wurde - diesmal ohne Musik - im
Saal der "Krone" ein Eierschmaus mit Speck für die Teilnehmer des
Umzuges gemacht und vom gesammelten Geld für alle Bier ausgeschenkt.
Bis zum Maibaumfest durfte jetzt übrigens im Dorf nicht mehr getanzt
werden, denn nun begann bald eine arbeitsreiche Zeit auf den Feldern,
die wir sehr ernst nahmen - hing doch unser Leben und Wohlstand von
einer guten Ernte ab.
Es war wohl gut, dass wir das in der alten Heimat noch konnten: "Feste
feiern", dann aber wieder "feste Arbeiten", und dabei auch schon wieder
(Vorfreude als schönste Freude!) dem nächsten "Feste feiern" entgegen
fiebern.
Ich habe den Eindruck, vielen Menschen ist heute in Zeiten, wo gute
Arbeit Mangelware ist und die Weihnachtsmänner schon im August verkauft
werden, beides nicht mehr so richtig vergönnt.
Waren wir vielleicht deshalb damals glücklicher als heute?
Lydia Radestock, im Februar 1999 |