„Flackelfranze“ und das verbrannte Pflaumenmus
Früher kam man von unserem Dorf aus nicht so oft in die Stadt. Um das zu
tun, mussten die Praskowitzer ungefähr eine Stunde bis nach Aussig oder
eine dreiviertel Stunde bis nach Lobositz laufen, oder mit dem Zug fahren.
In den dreißiger Jahren war aber das Geld knapp, und viel Zeit hatten die
Bauersfrauen auch nicht. Darum kauften die Leute gerne von den ab und an
eintreffenden Hausierern, wenn sie billige Waren hatten.
An eine von ihnen erinnere ich mich besonders: Frau Franziska, von allen
Flackelfranze (Flackel – das waren Flecken, also Stoffstücke in unserer
Mundart) oder auch bloß Franze genannt. Ihren Nachnamen weiß ich nicht
mehr. Sie handelte mit Stoffresten, bunten Tüchern, Wäsche, Gummiband ...,
eben allem möglichen Kram, den man so im Haushalt benötigt.
Mit ihrem Deckelkorb auf einem zweirädrigen Karren fuhr sie oft bei uns im
Ort herum und meldete sich in den Bauernhöfen, um ihre Waren anzubieten.
Alle Frauen kauften gerne bei ihr ein, weil sie nicht allzu teuer war. Sie
gaben dabei für das nächste Mal (der Otto-Versand war noch nicht
erfunden!) auch manche Bestellung auf, und die Franze brachte das
Georderte immer prompt. Jeder Hofhund und Gänserich kannte und akzeptierte
diese Frau schon, denn selbst für die fand sie immer den richtigen Ton.
Natürlich hatte die Hausiererin auch für uns Kinder immer ein kleines
Mitbringsel, und wenn es nur eines der begehrten bunten Abziehbildchen für
das Poesiealbum war.
Die Sachen im Deckelkorb waren meist für die Frauen bestimmt; für die
Männer hatte sie Gegenstände wie Rasierklingen, Seife, Streichhölzer,
Feuerzeuge, Hosenknöpfe oder Hosenträger dabei.
Die Flackelfranze hatte außer ihren Waren manchen Tipp und Rat bereit,
wenn ihr jemand sein Herzeleid klagte. Sie wusste stets über alles
Bescheid, was in unserer Gegend so los war, und verdingte sich manchmal
sogar als „Privatdetektivin“, um Nachrichten auszukundschaften. Und bei
alldem war sie verschwiegen und gab keine Intimitäten preis; darum mochten
die Leute sie alle gern. Die Franze wusste sehr gut: Für ihren
„Nachrichtendienst“ lädt sie so manche Bäuerin zum Mittagessen oder eine
andere zu Kaffee und Kuchen ein. Irgend etwas bekam sie dabei auch immer
mit heim, und wenn es nur eine Wurst oder einige Eier waren.
Eines Tages, Anfang der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, kam sie
wieder mal zur Rosenkranzin (also zu uns), aber da stand im Vorraum gerade
die Nachbarin, Frau Pappisch, am Kessel beim Pflaumentunke-Rühren. Das tat
sie, weil doch unser Kessel (reichte fürs ganze Jahr) größer als ihrer
war. Neugierig auf die Sachen der Franze ging die Pappischin natürlich mit
ihr in unsere Stube rein. „Passt mal auf meine Pflaumtunke auf!", rief sie
uns Kindern noch auf den Hof hinaus zu. Wir wollten eigentlich gerade
meinen neuen Ball ausprobieren, begannen aber pflichtbewusst die Tunke zu
rühren. Es ging eigentlich gar nicht schwer, aber natürlich hatten wir mit
unseren 6 - 7 Jahren noch nicht soviel Kraft. Darum fassten meine
Freundin, die Pappisch Traudel, und ich beide gemeinsam an der Rührkrücke
an.
Die Franze bot den zwei Bäuerinnen ihre Ware aus dem Korbe feil – ach, war
doch manches Tüchel oder Spitzennachthemde schön! Dazu gab es auch noch
Seidenblusen, und gleich hielt sich die Pappschin eine an den Busen, und
es gab auch noch eine passende Kette dazu. Sie wählte gar lange, denn es
gefiel ihr alles sehr.
Wir Kinder waren aber natürlich selber gespannt, was alles so in dem
geheimnisvollen Korbe lag, vergaßen beide die Pflaumentunke und guckten
heimlich auch mit zur Türe rein.
Derweil roch es vom Vorhause her brenzlig bis in die Stube hinein. Die
Pappschin riss schnell die Türe auf, aber zu spät: Qualm kam aus dem
Kessel; verbrannt war das ganze Pflaumenmus, das doch eigentlich bis zum
anderem Jahr reichen und schon am nächsten Sonntag den Kirmeskuchen
schmackhaft machen sollte!
Die Franze kassierte das Geld für die Bluse auf der Stelle und machte,
dass sie wegkam. Auch wir Kinder haben das Weite gesucht und sind später
gegen Abend erst heimgekommen, als sich bei unseren Müttern die Aufregung
etwas gelegt hatte:
Denn o Weh, o Graus,
wie sah doch bloß der Kessel aus?
Es mochte alles nichts nutzen,
gemeinsam begannen beide Frauen
den Pflaumentrog zu putzen.
Jetzt musste die Pappschin natürlich noch einmal die mühselige Arbeit des
Pflaumenpflückens und -entsteinens anfangen, aber zum Glück waren diese
auf den Bäumen noch reichlich vorhanden. Und später, immer wenn sie die
Bluse im Schranke hängen sah, musste sie an die Plage mit dem Pflaumenmus
denken.
Traurig war für uns Kinder, dass wir am kommenden Sonntag zur Kirmes keine
Krone bekamen, um uns Zuckerstagen oder Türkischen Honig kaufen zu können.
Außerdem hatte die Flackelfranze in der Aufregung vergessen, uns, wie
sonst immer, ein buntes Bildchen für das Album zu schenken. Aber: Strafe
musste sein!
Lydia Radestock, im August 1995 |