Fritschens Schimmel

Fritschens waren eine Praskowitzer Bauern-Familie.
In den 1940-ern zog ihr kleiner Sohn Hugo einen Schimmel auf. Der Junge war sogar bei der Geburt des Pferdes dabei. Er liebte es über alles und von der ersten Stunde an.
Hugo verbrachte viel Zeit mit dem Tier und konnte dann, als es etwas älter war, ohne Schwierigkeiten allein darauf ausreiten und mit ihm arbeiten. Dabei begegnete ich den beiden oft.

Im Herbst 1944 musste Hugo bei der Kartoffelernte erstmals um seinen Schimmel bangen, denn das Pferd und er wurden von einem englischen Tiefflieger auf dem Feld beschossen, der zuvor mit seinen Maschinengewehrsalven einen fahrenden Personenzug attackiert hatte. Liebevoll pflegte der Junge sein bei dem Angriff verletztes Tier wieder gesund.
Ich hatte diese Episode im Kopf, als im Februar 2005 ein englischer Historiker in der Zeitung behauptete (und dafür noch Beifall und Zustimmung erhielt!), es hätte nach dem großen Angriff auf Dresden vor 60 Jahren keine Tieffliegerangriffe gegen die ausgebombten Menschen auf den Elbwiesen gegeben. Ich halte das hingegen für sehr wahrscheinlich: Die damaligen Alliierten haben schon viel früher begonnen, auf alles und jedes Ziel in Deutschland zu schießen, das ihnen erreichbar war - und sei es bloß ein kleiner Junge mit seinem Pferd bei der Ernte in einem Elbtal-Dorf.

Nach dem Kriegsende im Mai 1945 kam es für den Hugo und seinen Schimmel erneut zu einer schwierigen Situation, als die russischen Sieger brauchbare gute Pferde im Dorf suchten. Als er das hörte, versteckte er sich mit seinem Schimmel an diesem Tag hinter Strohballen in der Scheune.
Hugo erzählte uns später bei einem sudetendeutschen Treffen, dass er damals immer wieder ganz leise auf seinen Schimmel eingeredete. Das Tier müsse dann auch die Gefahr gespürt haben und verhielt sich ganz still, bis die Beutesucher wieder weg waren.
Fritschens anderes Pferd allerdings, der schwarze Hengst, wurde fortgeführt. Dafür gaben die Soldaten (immerhin!) dem Vater einen abgehetzten alten Klepper zum Tausch.

Einige Wochen später musste Hugo sein geliebtes Tier aber dann doch den Tschechen überlassen, die inzwischen Praskowitz besetzt hatten und die deutschen Einwohner drangsalierten und vertrieben. Er selber wurde, gerade 14 Jahre alt, von der neuen tschechischen Verwaltung gemeinsam mit einem etwas älteren Freund zur Zwangsarbeit unter Tage in ein Kohlenbergwerk nach Kladno geschickt. Dieser Freund war übrigens der Gastwirtssohn Gustav Schubert. Dessen Vater, der alte Gastwirt, überlebte dieses Unglück nicht lange. Als er dann noch durch einen tschechischen Zuzügler aus seinem Haus gejagt wurde und in einen Verschlag neben Hackels Haus verwiesen wurde, hängte sich er dort auf.

60 Jahre ist das jetzt her - vergessen aber kann ich es nicht!


Lydia Radestock, im Juni 2005

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