Geburtstagsfahrt nach Praskowitz im Elbtal

Anläßlich meines 80. luden mich meine Kinder Klaus und Petra sowie Schwiegerkind Beate zu einer Fahrt in die alte Heimat ein.

Nachdem wir zunächst meinen Bruder und dessen Familie in Königshütte (Oberpfalz) besucht hatten, ging die Fahrt am nächsten Morgen weiter in Richtung Elbetal: Über Waldsassen fuhren wir zur Grenze und von da aus in die Tschechische Republik. Leider begann es ab Eger stark zu regnen, sodass wir kaum die Umgebung erkennen konnten – auch die Berge des Böhmischen Mittelgebirges blieben uns verhüllt. Erst als wir über die Elbebrücke nach Leitmeritz hinein fuhren, ließ dieser Regen nach.

Mein erstes Ziel an diesem Tag war, zur Wallfahrtskirche nach Keschitz zu kommen, um bei der dort in Garten stehenden berühmten Marienstatue, die beim 2000er Hochwasser der Elbe nur noch mit dem Kopf herausschaute, ein Erinnerungsgebet zu verrichten. Als ich Kind war, fuhr meine Großmutter mit mir zu bestimmten Anlässen zur Wallfahrt dorthin. In diesem Garten gab es neben dieser Marienstatue auch eine Quelle. Das Wasser wurde vom Pfarrer geweiht, und dann nahm Großmutter sich immer eine Flasche davon mit nach Hause. Diese Quelle gibt es heute noch, und es wird auch von den Wallfahrern weiterhin Wasser entnommen.
Nach dem schlimmen Elbhochwasser war versucht worden, alles wieder zu renovieren; das hatte ich in der Zeitung gelesen.

Während wir auf dem Rückweg durch Leitmeritz fuhren, begegneten wir einem Umzug der Feuerwehr mit alten historischen „Feuerspritzen“.
Über die Brücke der Elbe ging es dann in der Nähe von Theresienstadt auf der linken Elbeseite weiter durch Lobositz und die Böhmische Pforte - immer an der Elbe entlang.

Nach einer weiten Biegung erwartete mich dann der vertraute und ersehnte Anblick: Die Häuser und die Kirche von Praskowitz waren im warmen Licht der nachmittäglichen Junisonne zu sehen!
Wir parkten unser Auto auf dem Dorfplatz. Schon beim Aussteigen überwältigten mich die Erinnerungen an die Jugendzeit. Als es dann in der Gasse hoch zu unserem ehemaligen Hof ging, kamen mir heimliche Tränen in die Augen. Ich schaute auf Löbels Gartenmauer, ob nicht vielleicht mein schwarzer Kater oben sitze und auf mich warte, mit mir bis zu unserem Hoftor geht ... und dahinter unser weißer Spitz Rolf mich schon schwanzwedelnd begrüßt ... Alle meine Lieben, welche nun in fremder Erde ruhen, sah ich in diesem Augenblick in Gedanken vor mir.
Das Hoftor sieht jetzt ganz anders aus als damals; ein Drahtzaun hat die Umfriedung ersetzt. Die beiden Aprikosenbäume stehen noch immer, aber alles andere gibt es nicht mehr: Unser Wohnhaus, der Stall, die große Scheuer und der Geräteschuppen sind abgerissen worden. Auch der alte Nussbaum ist verschwunden, aber an der gleichen Stelle steht ein ungefähr 25 Jahre alter Nachfolger. Mitten im Grundstück, neben einem großen Swimmingpool und zwei neugepflanzten Obstbäumen lagern zur Zeit Baumaterialien (vermutlich für den Neubau eines Hauses). Mögen die jetzigen Bewohner auf diesem Stückchen Erde genauso glücklich sein, wie es mir damals vergönnt war - möge sie freilich der liebe Herrgott auch vor einem solchen Ende bewahren, das uns hier vor 59 Jahren ereilte.

Als ich dann auf dem Dorfplatz an der Schule stand, sah ich mich plötzlich, meine Zuckertüte fest an mich gedrückt, inmitten der anderen Kinder zum ersten Schultag bereit. Vor uns stehen - mir ist, als könnte ich konnte sie anfassen - der Oberlehrer Kunze und der Pfarrer Draschyl ... 73 Jahre ist das nun her. Wo ist nur die Zeit geblieben?
Mitten auf dem Dorfplatz sah ich nachher einen Baumstubben. Genau an dieser Stelle hatten wir immer unseren Maibaum. Ob die tschechischen Bewohner hier genau wie wir damals ein Maibaumfest feiern? Ich wünsche es Ihnen.

Wie immer bei meinen Besuchen in Praskowitz wanderte ich dann den Dorfplatz hinab zu meiner alten Linde, um sie zu begrüßen. Es scheint ihr gut zu gehen ... Unsere alte Kirche nebenan freilich verfällt weiter. Von einer Bank im Kirchhof blickte ich lange auf das schöne Elbetal, die Böhmische Pforte und auf die vielen vertrauten Orte meiner Kindheit und Jugend - und wieder kamen mir die Tränen.

Dann hieß es „Abschied nehmen“ - wir fuhren wir auf der ehemaligen alten Landstraße aus Praskowitz hinaus nach Norden und wollten in der Nähe des Bahnwächterhäuschens noch zu unserem Feld, wo einst die vielen Kirschbäume standen, gelangen. Da es aber vorher stark geregnet hatte, war es uns auf dem vergrasten Weg nicht möglich, dorthin zu kommen. Um wieder auf die neue Schnellstraße zu gelangen, mussten wir erst einen vorbeifahrenden Zug abwarten. Der Bahnwächter hatte früher die Schranke der Bahnlinie Berlin - Prag zu bedienen.; das Schließen der Schranken geht heute elektronisch vom Stellwerk in Praskowitz aus. Beim Wegfahren leuchteten uns aber die roten Frühkirschen vom letzten Baum, welcher von damals noch auf diesem Feld vorhanden ist, ein Lebewohl.

Weiter ging die Fahrt links an der Elbe entlang am Schreckenstein vorbei über Aussig und Bodenbach, dann über die Elbebrücke nach Tetschen. In Herrnskretschen an der Grenze probierten wir noch einmal das böhmische Nationalgericht: Knödel mit Rindfleisch, Kraut und Bier. Zum Schluss wurde ein wenig eingekauft an den zahllosen Buden, welche die vietnamesischen Händler dort aufgestellt haben. Denn ohne eine Flasche Becherovka und Karlsbader Oblaten wollten wir unsere Fahrt nicht beenden.

Dann ging es wieder über die Grenze nach Sachsen hinein. In Langebrück bei Dresden übernachteten wir noch einmal bei meiner Tochter.
Für mich war es eine angenehme Fahrt, die mir meine Kinder zu meinem Geburtstag ermöglichten, denn ich habe auch nach so langer Zeit noch immer Heimweh nach dem schönen Elbetal im Sudetenland.

Lydia Radestock, im Juni 2004

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