Hochzeitsbrauch „Strickel spannen“
Bei uns Kindern im Sudetenland war es Brauch, Brautpaare vor der Trauung
„abzufangen“, wenn sie aus der Kutsche oder dem Auto stiegen. Gelegenheit
gab es dazu genug, denn die Hochzeiten fanden ja meistens Samstags gegen
Mittag statt, und da war die Schule schon aus.
Beim „Strickel spannen“ wurde vor der Kirche eine dicke Leine gezogen. Der
Bräutigam und die Braut durften nur vorbei, wenn sie einige Heller unter
uns geworfen hatten – dann erst gaben wir den Weg frei zur Zeremonie. War
im Winter Schnee, bekamen wir etwas Kleingeld in die Hände.
Auch nach der Trauung wurden die Brautleute noch einige Male an geeigneten
Kurven mit „Strickeln“ am Weiterfahren gehindert – das zog sich bis zur
Haustür hin.
Auf diese „Wegelagerei“ musste man sich gut vorbereiten: Wenn die Mädchen
einen festen Freund (Liebsten) hatten, sammelten sie schon lange vor der
Hochzeit Heller (Kleingeld) für eine eventuelle Hochzeit in einer Dose, um
den „Strickel-Zoll“ bezahlen zu können. Ob auch die Burschen gesammelt
haben, weiß ich nicht mehr.
Da die Lichtowitzer Nachbarn keine Kirche im Dorf hatten und in dieser
Frage zu uns nach Praskowitz gehörten, mussten sie zusätzlich „blechen“:
Zuerst am Dorfeingang und nachher nochmals am Dorfausgang!
Für uns Kinder war das „Strickeln“ eine große Gaudi - man konnte sich
dadurch aber natürlich sogar noch manche Krone für ein Dorffest oder eine
andere besondere Ausgabe zusammensammeln.
Gern haben wir als Kinder für das „Hochzeitshaus“ aber auch die kleinen „Hugstkuchen“
(Hochzeitskuchen) ausgetragen. Für alle Häuser, welche aus diesem Anlass
beschenkt werden sollten, waren in so einer Hochzeitstüte immer mehrere
Küchlein (je Hausbewohner eines) drin. Und natürlich bekam man als
„Kuchenbote“ für seine Mühe immer auch einige dieser wohlschmeckenden
Kuchen geschenkt.
Lydia Radestock, im April 1996
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