Mader Müller und Wünschen Müller

Nach dem ersten Weltkrieg haben die meisten Bauersfrauen in meiner alten Heimat ihr Brot nicht mehr selbst daheim im Backofen gebacken. Bei uns im Elbetal war es dann bis Mitte der 30er Jahre üblich, dass es der Mader Müller buk, dessen Mühle mit einem großen Wasserrad am kleinen Bach Wopparn im Wopparner Tale stand.
Nachdem sie vorher ihr Getreide dafür abgegeben hatten, brachte er sein Backwerk jede Woche von daher einmal mit einem Pferdefuhrwerk zu den Bauern nach Praskowitz. Im Winter wurde das Brot immer auf einem großem Pferde-Schlitten ausgefahren. Die Pferde waren die Tour gewöhnt; sie blieben an jedem Bauernhof schon immer allein stehen und warteten, bis der Müller-Geselle die Brote abgeliefert hatte. Kam er aus dem Hoftor heraus, gingen sie von allein weiter bis zum nächsten Hoftor.

Zwischenzeitlich hatte sich auch der junge Wünschen Müller in Praskowitz am Rande des Dorfes eine Mühle mit Motorantrieb gebaut und nun ebenfalls die Bauern, die bei ihm das Getreide dazu abgeliefert hatten, mit Brot versorgt. Außerdem besorgte er den Bauersfrauen zu Weihnachten die Striezelbäckerei sowie zu Ostern die Osterlaibebäckerei und buk zur Kirmes die Golatschen - runde Häufelhefekuchen mit Mohn, Quark, Pflaumtunke und Apfelmus. Die Bäuerinnen konnten mit ihren Zutaten zur Backstube kommen, dort ihr Gebäck selbst anfertigen, und er hat dann alles mitgebacken.

Als die ersten Autos aufkamen, fuhr die Wünschen Müllerin auch gleich mit so einem neumodischen Gefährt das Backwerk im Ort und in der Umgebung aus. Die junge Frau konnte aber anfangs nicht gleich richtig fahren, und der Müller hatte allerhand Ärger, weil seine Gattin deshalb im Dorfe manches Maleur angerichtete.

Die Bauern waren darüber zeitweise so erbost, dass sie den Müller schon verklagen wollten. Der Löbel Bauer rief damals auf dem Dorfplatz gar empört: "Ihr Leute seid auf der Hut, wenn die Müllerin mit dem Automobil um die Ecken herumfahren tut! Meinen Hoftorpfeiler und ein andermal gar noch meinen Gartenzaun hat sie schon mitgenommen.!"

Im Dorfe sind auch anfangs etliche Gänse und sogar des Gastwirts Hund unter ihre Räder gekommen. "So was lassen wir uns nicht länger gefallen", murrten die Leute". Bei einem Umtrunk des Müllers und mit den Bauern im Gasthaus zur Krone ist dann nach dem Mottto "Ich gebe einen aus!" alles wieder in s rechte Lot gekommen".

Es dauerte noch eine Zeit - einige Male musste der Müller weiteren Schaden bezahlen und sich sogar wieder ein anderes Auto kaufen - aber irgendwann hatte die Müllerin das Fahren dann gelernt und die Bauern waren wieder zufrieden.

Bei einem ersten Besuch in unserer ehemaligen Heimat war ich sehr traurig, als ich sah: Die Mühle im romantischen Wopparner Tal und ihr großes Mühlrad sind verfallen, die Praskowitze Wünschenmühle ist eine Brandruine. Was mir nur bleibt, ist die Erinnerung an den Duft der frisch gebackenen Brote.

Lydia Radestock, im Februar 2003

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