Mein Vaterhaus

In den 1950er malte mein Mann Günter nach einem Foto aus den 1940ern mein Praskowitzer Vaterhaus als Aquarell und schenkte es mir als Erinnerung an meine Heimat, aus der unsere Familie am 17. Juli 1945 von den Tschechen gewaltsam vertrieben worden war. Es war eines der wenigen Fotos, die ich damals mitnehmen konnte.



Dieses Haus, in dem ich am 2. Juni 1924 geboren wurde, soll früher einmal ein Forsthaus gewesen sein. Wie mein Großvater, der es von seinem Großvater erfuhr, mir erzählte, ist es um 1730 erbaut worden.

Bis zur ersten Etage bestanden die Mauern aus mit Lehm verbundenen Feldsteinen. Sie war einen Meter dick.
Darüber befand sich ein Fachwerkbau, dessen Fächer mit Lehm und Strohhäcksel gefüllt waren.
Das Dach, mit je zwei Dachluken auf jeder Breitseite, reichte nach rückwärts fast bis zur Erde.

In der Haustür war eine größere Scheibe mit einer Luke für die Schwalben angebracht.
Sie führte in den großen Hausflur, der an der Rückseite einen Backofen aufwies, in dem bis 1930 Brot und Kuchen gebacken wurde.
Nebenan gab es in einer Mauernische Abstellmöglichkeiten. Auch waren hier zwei große Kupferkessel eingebaut.
In dem einen konnte das Fleisch geschlachteter Schweine gekocht oder Pflaumenmus und Rübensirup zubereitet werden.
Der andere Kessel war für das Kochen der Viehkartoffeln oder der weißen Wäsche bestimmt. Die Wäsche wurde manchmal auch in einem großen Holztrog eingeweicht und anschließend in einer schwenkbaren Waschmaschine gewaschen, an welcher eine kleine Presse zum Entwässern der nassen Wäsche angebracht war.

Das Untergeschoss wurde von einer großen Wohnküche beherrscht, in deren dicke Mauer ein Küchenschrank eingebaut war. Dann gab es da noch einen Kachelofen mit einer Röhre und einer Herdplatte. Gegenüber befand sich die Waschecke. Das Wasser hierfür musste übrigens bis 1915 vom Paterborn (ein halbe Stunde entfernt) geholt werden. Damals hatten auch die Nachbarsleute das Recht, den sogenannten Wasserweg durch unseren Hof zu benutzen. Zu meiner Zeit gab es aber schon eine Wasserleitung.
Diese Stube hatte an der Ostseite zwei und an der Südseite zwei weitere Fenster.

Die kleinere Stube nebenan bewohnten meine Großeltern, die dadurch nicht mehr Treppensteigen mussten. Auch sie hatten einen eingebauten Ofen mit einer Herdplatte und einer Ofenröhre. Hier sorgten zwei Fenster für Licht.

Zur ersten Etage führte eine Holzstiege.
Unter dem schrägen Dach befanden sich eine große und eine kleine Kammer mit je zwei Fenstern (hier schliefen die Eltern und mein Bruder Franz und ich) sowie etliche Abstellgelegenheiten.

Die Balkontür hatte eine Luke für die Katzen.
Der riesige Balkon an der Vorderseite des Hauses war für das Trocknen der Wäsche, der Bohnen und der Maiskolben vorgesehen. Als Schmuck wurde er im Sommer von ungefähr 80 Geranienblumentöpfen umkränzt.

Auf dem Dachboden, zu dem eine weitere Stiege führte, wurde das Getreide aufbewahrt.
In großen gefächerten Holzbehältern lagerten Trockenobst, Nüsse, ausgerüffelte Bohnen und Mohn; jede Möglichkeit zur Aufbewahrung des Wintervorrats war optimal genutzt.

Das Haus stand unter Denkmalschutz. Meine Eltern mussten seitens der Gemeinde bei Reparaturen und Modernisierungen zahlreiche Auflagen einhalten.
Sehr traurig war ich, als ich in den 1960ern zum ersten Mal mein Heimatdorf besuchte und das Haus nicht mehr sehen konnte - die neuen tschechischen Bewohner des Dorfes hatten es abgerissen.

Lydia Radestock, im Februar 2009

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