Meine frühe Kindheit in Praskowitz

Meine ersten Kindheitserinnerung führt mich in’s zarte Alter von 3 Jahren:
der Storch sollte mir ein Brüderchen bringen, worüber ich mich riesig freute.

Als es dann soweit war, gab es freilich erst mal Endtäuschung, denn das neue Familienmitglied hat viel geweint, und spielen konnte man mit ihm zunächst auch nicht.

Der kleine Bruder prägte dann auch meine nächsten Jahre: Als ältere Schwester musste ich immer auf ihn achten, und ihm besonders seinen Schnuller geben, wenn meine Mutter mit der Viehfütterung beschäftigt war.
Oftmals nahm sie uns beide mit in den Stall oder auf́’s Feld. Oder wir blieben bei meiner Großmutter, die uns viele Märchen erzählte.

Weil der Kinderwagen so hohe Räder hatte (das war damals große Mode) und es bei uns so bergige Straßen gab, konnte ich meinen Bruder damit vorerst nicht ausfahren.
Als er dann laufen konnte, aber noch zu klein war, um allein mit den anderen Dorfjungs zu spielen, musste ich ihn auch mit zu meiner Freundin nehmen, wenn wir Ball spielen wollten.

Und was spielten wir damals außerdem?
Ich weiß noch: „Kaufladen spielen“ war sehr beliebt. in Nachbars Schuppen hatten wir uns etabliert. und je nach Jahreszeit wurde alles mögliche verkauft: Wurzeln, Obst, verschiedene Samen, Körner, kleine Steinchen, unsere Puppenkleidchen ...
Mitunter kamen auch weitere Dorfmädels dazu. Das war dann noch lustiger - manchmal gab´s aber etwas Ärger dabei, wenn eine uns zuviel abkaufte oder wirklich mit nach Hause nahm.

Im Frühling nach der Schneeschmelze freuten wir uns besonders auf das Murmelspiel - je nach Örtlichkeit wurde gegen eine Mauer oder in ein Loch gekullert. Eine große bunte Glasmurmel galt als Einsatz. Wurde sie angetippt, war sie für uns verloren, oder sämtliche Murmeln welche gerade im Einsatz waren.

Des Sommers über tanzten wir Kinder oft im Kreis den Reigen: „Wir wollen die gold’ne Brücke bauen. Wer hat sie denn zerbrochen? Der Goldschmied, der Goldschmidt …“
Oder wir setzten uns in eine Reihe nebeneinander und machten stille Post: Der Erste sagte dem Nebenan ein leises Wort, und zuletzt kam dann zum Vergnügen aller etwas ganz anderes heraus.
Wir hielten uns zum Spielen in dieser Jahreszeit entweder unter den 5 Kastanien beim Wasserwerk oder an der großen Linde vor der Kirche auf. Auch am Fibichbergl oben war es schön.
Ich bin also im Schutze alter Bäume aufgewachsen, was mein ganzes späteres Leben als Naturfreundin bestimmte. Hier wurden auch gemeinsam Lieder gesungen und zu bestimmten Anlässen Reigen getanzt.

Wenn es herbstete, flocht man sich Pflanzen in die Zöpfe. Dann wurde gefragt: „Wer ist die Schönste hier?“ Es war aber immer Schneewittchen …
An das - heute so beliebte - Drachensteigen kann ich mich nicht erinnern, denn die großen Feldflächen vom Meierhof waren für uns „tabu“.

Im Winter ging es zum Schlittenfahren (an unseren Elbhängen kein Problem!) oder zum Schliddern auf Heyslers Teich; das Schlittschuhfahren kam erst später.


Als ich etwas älter war, kam dann auch „Räuber und Gendarm Spiel“ dazu – das wurde gemeinsam mit den Dorf-Jungs gespielt: Die „Gendarmen“ hatten die „Räuber“ zu suchen.
Es gab auch noch „Wer fürchtet sich voŕm schwarzen Mann?“ Der Rufer musste dann möglichst viele Kinder antippen (einfangen) …
Das Fußballspiel allerdings war bei uns nicht üblich.

Verfeindete Kindergruppen (hier Deutsche, dort Tschechen) gab es damals noch nirgends.
Die wenigen Tschechen-Kinder im Dorf spielten problemlos mit uns deutschen Kindern.
Der Hass kam erst später auf, als Edward Benesch Präsident wurde.


Trotzdem wir viel Obst hatten, aß ich als Kind keine Kirschen oder Pflaumen - man durfte ja hinterher kein Wasser trinken.
Blumen hatte ich immer gern, besonders unsere Rosen.

Ich erinnere mich aber auch: Wir wurden früh zur Arbeit angehalten.
Schon die Kinder mussten damals in der Landwirtschaft helfen - bei der Heuernte, in der Kirschzeit „Stare verjagen“ oder im Herbst beim Kartoffeln-Einbringen. Gar oft haben wir uns am Kartoffelfeuerkraut an den heißen „Ardappeln“ die Finger verbrant. Diese Kartoffeln aus der heißen Asche schmeckten uns aber besonders gut.
Auch im und am Haus gab es immer etwas zu tun: Hühner füttern, Geschirr abwaschen, Balkon-Blumen gießen (das Wasser wurde mir über die steile Stiege zum Balkon hochgebracht), im Garten helfen, Mohnausklopfen, Bohnen sortieren, Gänsefedern schleißen, Strümpfe stopfen … Als wir größer waren, habe ich auch oft mit meiner Nachbarsfreundin die gewaschene Wäsche in der großen Mangel gerollt.
Umso schöner freilich war dann das erneute Spiel nach getaner Arbeit, war der Kontrast zwischen Anstrengung & Mühe einerseits und Entspannung & Belohnung andererseits!

Alles in allem: Ich hatte eine schöne Kindheit!

Wenn ich vergleiche, wie viele Jungs und Mädels heute erziehungs- und geschwisterlos vor dem Bildschirm aufwachsen und sich dabei ein Filmereignis mit den nächsten verderben, „Ballerspielen“ an der Spielkonsole huldigen oder sinnlos „herumsimsen“ …
Kürzlich las ich per Internet dazu in der Studie eines Manfred Spitzer, der enorme Medienmissbrauch mache Kinder dick, dumm, traurig und gewalttätig. Alle wissen es, und keiner tut etwas dagegen. Weil: es sind dies ja später gute Konsumenten – sie werden auch Waren kaufen, die sie eigentlich gar nicht brauchen, nur weil man es ihnen einredet.
Können Menschen mit solchen Eigenschaften ihre Zukunft gestalten?
Wenn das die neue Zeit ist, dann verstehe ich sie nicht mehr! Dass ich damit in guter Gesellschaft bin, möchte ich mit einem Zitat des Theologen, Philosophen und Urwaldarztes Albert Schweitzer belegen, der im Herbst seines Lebens einmal meinte:
„Der Mensch hat die Fähigkeit, vorauszublicken und vorzusorgen, verloren. Er wird am Ende die Erde zerstören”.
Aber vielleicht täusche ich mich ja, und unsere Gattung wird auch mit dieser Krise fertig, denn: Not macht ja bekanntlich erfinderisch!
Schade bloß, dass man es immer wieder dazu kommen lässt …
 

Lydia Radestock, im September 2009

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