Ostern daheim
In
unserer Elbtal-Gegend waren die Menschen fast alle katholisch. Davon war
auch das Osterfest geprägt.
In meiner Erinnerung begannen die Osterbräuche am Palmsonntag - das ist
der Sonntag vor dem Osterfest. Da war es Sitte, in der Kirche zur Messe
vom Pfarrer Weidenkätzchen weihen zu lassen. Anschließend verteilten die
Leute ihre „Palmzweige“ auf den Herrgottswinkel in der Stube, die
Viehställe ... Sie steckten auch einige dieser geweihten Reiser in die
Äcker, damit eine gute Ernte werde.
In der folgenden Osterwoche gab es dann bei uns auf dem Land sehr viel zu
tun. Haus, Hof und Stall wurden von oben bis unten gesäubert.
Ein Tag war auch dem Backen der runden Osterlaibe gewidmet, die aus dem
gleichen Teig wie die zur Weihnachtszeit gefertigten großen Striezel
gemacht wurden. Und aus Bisquit-Teig wurden dann auch kleinere
Osterlämmchen gebacken. Geschah das in den 1920ern noch in den Backöfen
der einzelnen Bauernhäuser, wurde seit den 1930ern alles Oster-Backgut in
der Praskowitzer Wünschen-Mühle gebacken. Die Bauersfrauen brachten ihren
vorbereiteten Teig zur Mühle und buken dort. Es war einfacher und
gemeinsam auch lustiger.
Ab Grün-Donnerstag begannen die drei Fasttage. Besonders der Karfreitag
war ein strenger Fasttag, an dem kein Fleisch und keine Wurst gegessen
werden durfte. Meistens gibt es dann Bienenhonig, Butter, Pflaumenmus
(kein Schweineschmalz!) zum Frühstück auf´s Brot sowie Eier, Butternudeln
oder Fisch zu Mittag. Erst am Sonnabend-Abend aß man wieder Fleisch, Wurst
oder Schmalz. Ostersonntag gab es bei uns daheim zur Krönung mittags
meistens einen Zickelbraten zu essen.
Weil der Legende nach am Karfreitag Jesus einst gekreuzigt worden ist,
wurde in meiner Heimat am Grün Donnerstag in den Kirchen das Grab Christi
in einer Nische mit einer Heilandstatue nachgestellt, vor der man beten
konnte. Die Schulkinder hatten abwechselnd an diesem Ort zu beten.
Erwachsene wie Schulkinder gingen in diesen Tagen mindestens einmal in die
Kirche zur Beichte. Am Samstagabend wurde hier die Auferstehungs-Messe für
Jesus Christus abgehalten. Auch am Ostersonntag gab es, aber diesmal
morgens, eine Messe und ein Hochamt. Ostermontag war, wie heute, auch noch
ein Feiertag, an dem es früh wieder eine Messe gab.
Die Glocken auf dem Kirchturm hatten von Donnerstag bis Samstagmittags zu
schweigen. Während dieser Zeit versammelten sich die Dorfjungs unter der
großen Linde vor der Kirche und zogen mit Holzratschen durch das Dorf,
wenn sonst die Glocken läuten sollten. Sie riefen vor den Häusern je nach
der Zeit: „Wir geben das Zeichen zum Morgen-, Mittags- oder Abend-Leuten“
und ratschten dabei laut und weithin hörbar.
Diese „Schnarr-Jungs“ kannten klare Regeln für ihre Aufstellung vor den
Häusern – es ging streng nach Alter. Die größeren Bengels machten sich
meisten einen Spaß daraus und ratschten schon früh um 6.00 Uhr - vor allem
dort, wo Mädchen wohnten, besonders laut. Am Ostersamstag holten sich die
Anführer der „Schnarr-Jungs“ dann den Lohn für das Ratschen von den Bauern
und übrigen Dorfbewohnern. Sie bekamen Geld und gekochte buntgefärbte Eier
für ihre Mühe. Das eingesammelte Geld und die Eier wurden dann unter alle
an dieser Ratscherei Beteiligten verteilt – wiederum streng nach
„Rangordnung“. Anschließend gab es dann Wettkämpfe unter den Jungs im
Eierwerfen.
Außer diesen Ritualen gab es bei uns noch zahlreiche andere Osterbräuche:
Die jungen Mädchen gingen beispielsweise Osterwasser holen. Dabei durfte
man sich unterwegs nicht erwischen lassen, um das Wasser, ohne zu
sprechen, bis nach Hause bringen zu können. Meistens wurden wir aber von
den Jungs, die es natürlich darauf angelegt hatten, überrascht und zum
Lachen gebracht.
Für die Praskowitzer männliche Jugend, in deren Höfe Pferde standen, war
das „Osterreiten“ Pflicht. Dieser Ausritt mit prachtvoll ausgeschmückten
Pferden fand meistens im uns benachbarten Wellemin statt. Vor den
Feiertagen wurden dann allen Pferden die Mähnen und Schwanzhaare
geflochten - dadurch bildeten sich einige Zeit nach Auflösung schön
anzusehende Locken. Die Pferde wurden extra geputzt und gestriegelt, das
Geschirr gereinigt und angeschwärzt, alle Messingteile poliert, die Hufe
eingefettet ...
Am Ostermontag wurden die aufgezäumten Pferde dann noch mit
Blumensträußchen an den Köpfen geschmückt Auch die Reiter hatten
Blumenschmuck am Revers und ein Blümchen am Zylinderhut. Jede Reitergruppe
eines Dorfes hatte ihre eigene Kirchenfahne dabei. Es war ein schöner
Anblick, wenn sie alle gemeinsam losritten.
All das ist für mich Erinnerung, verloren und versunken mit dem Verlust
der Heimat vor nunmehr fast 60 Jahren. Ich habe die Geborgenheit solchen
Brauchtums, derart liebenswerte Rituale später nicht mehr finden können –
sie sind wohl nur in der Heimat zu haben, in der man aufgewachsen ist und
auf die man geprägt wurde, nur in einer überschaubaren Gemeinschaft
einander vertrauter Menschen.
Rings um mich sehe ich jedoch mit Sorge, dass, wo es sie noch gibt, solche
regionalen Sitten und Bräuche, obwohl sie den Menschen Kraft, Halt und
Lebensfreude bringen, auch heute, wo doch Frieden ist und man sie
festhalten könnte, immer weiter verschwinden. Die Leute achten immer
weniger auf das von den Altvorderen Überkommene, werden wurzellos. Sie
haben dafür keine Zeit mehr, müssen sie doch selbstverwirklichend -
spaßerlebend - hetzend immer weiter fortschreiten – fort von der Natur,
von den Mitmenschen, von sich selbst ...
Wo mag das wohl enden?
Lydia Radestock, im März 2005 |