Spurensuche in Praskowitz
Am 21.10.1994 war für mich ein großer Tag: Sohn Klaus und
Schwiegertochter Beate fuhren mit mir und der kleinen Enkelin Maria
wieder einmal in meine alte Heimat. 49 Jahre zuvor hatte man uns
Praskowitzer von hier vertrieben.
Wir
hatten in Dresden bei Beates Eltern übernachtet und fuhren früh gegen
9.00 Uhr bei schönem Herbstwetter die Elbe entlang zuerst nach Aussig.
Dort mussten wir lange nach einem Parkplatz suchen, ehe wir das Auto auf
dem Marktplatz abstellen und einkaufen gehen konnten.
Zuerst ging es in das große Kaufhaus „Labe". Dort kauften wir
Büroartikel, und die Maria wurde ewig nicht fertig bei der Entscheidung,
welches Stirnband sie nehmen sollte. Wie eine kleine Dame drehte sie
sich vor dem Spiegel hin und her. Anschließend wurde ein
Zimmerspringbrunnen erstanden.
Im Uhrengeschäft in der Teplitzerstraße kaufte Klaus schließlich noch
eine Wanduhr mit einer Big-Ben-Melodie – ein sehr angenehmer Klang.
Dann aßen wir Mittag: Es gab Sauerbraten - zu jedem Essen wurden Knödel
gereicht.
Nun ging es zum Wochenmarkt. Hier kaufte Klaus für sich und mich eine
Armbanduhr zu je 12.00 Mark sowie Trockenblumen und Tulpenzwiebeln.
Endlich fuhren wir gen Praskowitz, mein Heimatdorf. Leider war es
inzwischen schon fast halb 4.00 Uhr nachmittags geworden. Die Sonne
versteckte sich, und Wind war aufgekommen.
Vor dem Ortseingang gingen wir beim Wächterhaus hoch, um zuerst unser
ehemaliges Paterfeld und den Berg, von dem wir uns als Kinder zur
Heuernte von oben herunter rollen ließen, zu besichtigen. Auf dem Feld
standen noch einige alte Obstbäume, doch die Schutzhütte hatte kein Dach
mehr; aus ihrem Inneren wuchs ein Nussbaum empor.
Die jetzigen Wächterhausbewohner haben ein großes Stück vom Feld
abgeteilt und sich einen Obst - und Gemüsegarten angelegt. Das übrige
ist verwildert und mit Gras bewachsen.
Am Hang, wo einst unsere Stachel-, Johannis- und Himbeersträucher
standen, sind jetzt große wilde Hecken emporgewachsen.
Weiter ging es in Richtung Dorf. Das Kreuz am Ortseingang, von wo aus es
nach Salesel geht, ist renoviert (ebenso wie das Kreuz hinter dem Ort,
von wo aus man nach Lichtowitz kommt) und neu angestrichen. Der Teich
vor dem Dorf, auf dem wir früher so manche Schlitter- und
Schlittschuhpartie absolvierten, ist noch vorhanden, aber ringsum sieht
es verwildert aus.
In Praskowitz angekommen fuhren wir den Dorfplatz hinab bis zum
Pfarrhaus und gingen dann zum Friedhof. Das Dach der Kirche hat ein
großes Loch, von den Mauern blättert der Putz, und eine dicke rostige
Kette schließt das vermodernde Kirchtor – hier hat es schon lange keinen
Gottesdienst mehr gegeben. Auch der Friedhof hinter der Kirche verkommt
immer mehr. Vom Grab meiner Urgroßeltern fehlt der Grabstein, und auch
die anderen deutschen Gräber sind verwahr-lost, doch gibt es auch neue,
die mit verstorbenen Tschechen belegt sind.
Die Friedhofsmauer zur Bahn zu beginnt einzufallen - auch die Mauer, wo
„meine“ große Linde vor dem Kirchplatz steht.
Die Linde selbst, von welcher ich Mannigfaltiges aufgeschrieben habe,
ist riesengroß geworden. Eine Bank steht jedoch nicht mehr davor.
Reichelts Villa daneben ist unbewohnt und verfällt, ebenso fällt das
Haus daneben ein, wo mal die Eiselts gewohnt haben. Bauer Becks Haus ist
ganz weg; im Hof dahinter steht ein hässlicher Neubau.
Nun fuhren wir in unserer ehemaligen Straße entlang. Löbels Bauernhaus
ist abgerissen, und wo das Auszughaus von Löbels Großmutter stand, steht
jetzt eine Garage.
Auch mein Vaterhaus samt Stall und Scheune sind weg. Hier ist jetzt ein
Obstgarten angelegt; man kann jetzt von der Straße bis auf Pappschens
Hof gucken. Hier verweilte ich lange. Meine Gedanken waren bei meinen
Eltern und ich dachte daran, wie´s früher hier einmal war: Glückliche
Kindheit ...
Die Straße in Richtung Debus ist neu aufgeschüttet. Am alten
Wasserbassin fehlen die Kastanienbäume. Sie waren 1945 schon sehr groß,
und wir haben dort oft Räuber und Gendarm gespielt. Auch das ehemalige
Transformatorenhäuschen ist weg, an dem wir uns wegen der scharfen Kurve
beim Schlittenfahren im Winter manche Beule holten.
Dann ging es nach Lichtowitz und im „S" nach Kottomirsch hoch. Am Wege
sind einige neue Häuser gebaut, vermutlich Bungalows. Die Kastanienallee
ist noch vorhanden. Früher sind wir überall zu Fuß dorthin gelaufen. Das
kann man sich heute kaum mehr vorstellen.
Anschließend fuhren wir durch die Böhmische Pforte weiter an der Elbe
lang. Am „Drei Kreuzberg“ habe ich der Maria die Sage von den drei
Mädchen erzählte, welche sich, von einem Raubritter verfolgt, hier einst
in den Abgrund gestürzt haben. Zur Erinnerung an dies Unglück wurden
drei große Eisenkreuze als Mahnung errichtet, welche noch immer und
weithin sichtbar hier stehen.
Weiter ging es über Lobositz nach Leitmeritz, vorbei am Weinbau Gebiet „Tschernosek"
und dann nach Kamaik, Rschepnitz, Libochowan wieder hinunter an die Elbe
bis nach Dresden.
Leider wurde es ab Leitmeritz schon dunkel. Schöner wäre ja die
Rückfahrt bei Tage gewesen. Vielleicht finde ich irgendwann mal etwas
mehr Zeit, mir die Umgebung noch besser ansehen und den Kindern all das
Schöne erklären zu können, das es einst hier gab.
Trotzdem bin ich meiner Familie dankbar für die Fahrt!
Lydia Radestock, im Oktober 1994 |