Unsere naschige Ziege Maschl

In einer Ecke unseres Kuhstalls in Praskowitz hatte eine weiße Milchziege ihr Lager. Und das kam so: Eine alte Frau aus dem Ort konnte das Tier nicht mehr betreuen. Weil sie wusste, dass meine Eltern gut zu allen Tieren waren, schenkte sie uns die Ziege. Sie hatte das Tier als Zicklein selbst aufgezogen und sehr verwöhnt.

Mit „Maschl", so hieß die Ziege, haben wir allerhand erlebt. Sie benahm sich ein verhätscheltes Kind.
Waren die Kühe oder auch meine Mutter unterwegs auf den Feldern, wollte auch die Ziege raus. Brav lief sie hinter dem Fuhrwerk hinterher oder hielt sich neben meiner Mutter – sie musste nicht einmal festgebunden werden.
War sie einmal allein zurückgelassen worden, gab es ein erbärmliches Gemecker, bis sie wieder Gesellschaft im Stall hatte oder meine Mutter füttern kam und zu ihr sprach.
Die Ziege war so „personengebunden“, dass sie sich nur in der Nähe meiner Mutter oder bei mir aufhielt. Mit meinem Bruder oder meinem Vater ging sie nie mit.

Einmal nahmen wir sie mit zum Kartoffelernten, und sie suchte sich am Feldrand besondere Gräser als Leckerbissen oder lief zwischen uns in den Kartoffelfurchen herum. Meine Mutter Marie war dann nach Hause gegangen, um warmes Mittagessen für die Erntehelfer zu holen. Als die Ziege merkte, dass ihre wichtigste Bezugsperson nicht mehr auf dem Feld war, sprang sie über Stock und Stein die terrassenartig angelegten Felder den Berg herab und meiner Mutter hinterher. Wir alle bekamen einen ordentlichen Schreck und dachten, das Tier überschlägt sich. Das passierte aber nicht. Anschließend kam sie mit meiner Mutter wieder mit aufs Feld zurück.
Als wir dann zur Mittagspause im Kreis beisammen saßen und unser Essen verzehrten, es gab hinterher noch einen erfrischenden Pudding. Meine Tante hatte ihre Puddingschale neben sich auf der Erde stehen. Unsere Ziege kam leise von hinten heran und schleckte, ehe es meine Tante merkte, genüsslich den ganzen Pudding auf.

Maschl wurde zwecks Nachkommenschaft auch einmal zu Prockeschens Ziegenbock gebracht. Kurz vor Ostern 1944 gebar sie uns zwei schneeweiße Zicklein, welche wir später an Bekannte abgaben.

Nach unserer Vertreibung aus der Heimat erfuhren wir, das der nachfolgende tschechische Nutzer unseres Hofes neben anderen Haustieren auch diese Ziege zunächst fast verhungern und dann im darauf folgenden Winter erfrieren ließ. Er vergaß wohl, den Stall ordentlich abzudichten. Als Stadtmensch hatte er eben keine Ahnung von der Tierhaltung.


Lydia Radestock, im März 1996

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