Walnüsse

In der alten Heimat hatten wir auf unserem Hof einen Walnussbaum stehen. Im Sommer spendete er uns an heißen Tagen Schatten. Auch unsere Hühner übernachteten dann gern auf seinen dicken Ästen und gingen nicht in ihren Stall schlafen. Seinetwegen konnte man abends, ohne von den Mücken und Bremsen belästigt zu werden, auf der Bank vor dem Haus sitzen. Denn sie hielten sich vom herben Geruch des Baumes fern.

Im Herbst schenkte er uns dann seine Nüsse - je nach der Wetterlage im Frühjahr zur Blütezeit mal mehr, mal weniger. Meistens fielen sie allein herunter, wenn sie ganz reif waren. Einige Nüsse wurden von uns mitsamt den grünen Schalen zum Kochen von Pflaumenmus verwendet. Das ergab ein besonderes Aroma und eine dunklere Farbe für das Mus. Von den Schalen bekam man beim Auflesen ganz gelbe Finger. Die Nüsse wurden gesammelt und auf langen Holzborden auf dem Hausboden getrocknet. Sie mussten ab und zu gewendet werden, damit sie nicht schimmelten.

Im Winter befreiten wir die Nüsse von den Schalen und verwendeten sie dann vor allem zur "Weihnachtsbäckerei". Auch die Vögel bekamen zerkleinerte Kerne als Winterfutter auf das Fensterbrett gestreut. Einen besonderen Nuss-Brauch gab es am Heiligen Abend : Da musste ein jedes Familienmitglied abends vier Nüsse öffnen. Waren alle einwandfrei, so bedeutete es Glück für das nächste Jahr.

Als ich 40 Jahre nach unserer Vertreibung aus dem Sudetenland zum erstenmal die Orte meiner Kindheit und Jugend besuchte, war das Wohnhaus abgerissen und der alte Nussbaum umgehauen worden. Zum Ersatz pflanzten mir dann meine Enkel Jörg und Hans in Hof und Garten des Forsthauses Frauensee zwei neue Walnussbäume, die ich seitdem hier pflege. Schon überragen sie mich um ein Mehrfaches und werden mir wohl bald die ersten Früchte schenken - es wird wie ein Gruß aus meiner versunkenen Praskowitzer Heimat sein.

Lydia Radestock, im März 2003

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