Gereimte Eisboten

Als ich heute Morgen aus dem Fenster zu unserem kleinen Hof-Teich sah, stellte ich fest, dass er bereits ganz zugefroren war.

Ich dachte mir bei diesem Anblick: „Wir haben doch erst den 27. Oktober - der Winter schickt also diesmal seine eisigen Vorboten schon sehr zeitig!“
Auch andere Anzeichen hatte ich dafür wahrgenommen:
Es blühten bis vor kurzem noch verschiedene Blumen auf meinem Beet, die aber die kalten Vollmondnächte dieser Tage nun nicht überstanden haben.
Und: Gestern stand in der Zeitung, dass große Blaumeisenscharen aus dem Baltikum bei uns eingetroffen sind (bei einigen dieser Tiere hat man das an vorhandenen Ringen festgestellt), was auch auf einen frühen Winter schließen lässt.

Doch zurück zum dünn zugefrorenen Teich:
Weil im letzten Winter leider wieder einige Kinder durch das vorzeitige Betreten halb zugefrorener Eisflächen ertrunken sind, möchte ich einmal auf ein Gedicht hinweisen,
welches mir bei diesem Anblick sofort einfiel. Es ist „Vom Büblein auf dem Eis“, das ich als eines der Verse in unserer ersten „Fibel“ vor 80 Jahren in der Schule auswendig lernen musste.
Ich kann es sogar noch auswendig – es geht so:

Gefroren hat es heuer
noch gar kein festes Eis;
das Büblein steht am Weiher
und spricht so zu sich leis’:
Ich will es einmal wagen,
das Eis, es muss doch tragen.
Wer weiß?

Das Büblein stampft und hacket
mit seinem Stiefelein,
das Eis auf einmal knacket,
und Krach! Schon bricht’s hinein.
Das Büblein platscht und krabbelt
als wie ein Krebs und zappelt
mit Schreien.

O helft, ich muss versinken
in lauter Eis und Schnee!
O helft, ich muss ertrinken
im tiefen, tiefen See!
Wär’ nicht ein Mann gekommen,
der sich ein Herz genommen,
o weh!

Der packt es bei dem Schopfe
und zieht es dann heraus,
vom Fuß bis zu dem Kopfe
wie eine Wassermaus.
Das Büblein hat getropfet,
der Vater hats geklopfet
zu Haus.


Wenn der Dichter Friedrich Güll vor 150 Jahren seine wichtige Warnung und drastische Schilderung des doppelten Schadens für’s Büblein nicht so eindringlich gereimt hätte, wäre es mir wohl nicht gelungen, diese schönen Zeilen über 8 Jahrzehnte im Gedächtnis zu behalten.

Das dürfte anderen vielleicht auch so gehen, und so denke ich jetzt darüber nach, diese Geschichte an unsere MAZ zu senden.
Vielleicht wird sie gedruckt, und kann eventuell sogar Leben retten …

Wer weiß?

Lydia Radestock, im Oktober 2010

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