In „Zickenzelle“
Am 3. April 2010 waren bei sonnigem Frühlingswetter nicht nur die Osterhasen,
viele Ausflügler und Gartenbesucher unterwegs. Auch mein Sohn & Gattin und
Enkel Hans hatten für mich eine Osterüberraschung bereit: Es war die
gemeinsame Besichtigung der renovierten katholischen Kloster-Kirche in
Neuzelle geplant.
Das dortige von Markgraf Heinrich von Meißen gestiftete Kloster wurde 1280
bis 1330 erbaut, durch die Hussitenkriege zerstört und anschließend zu einer
eindruckvollen Barockresidenz ausgebaut. Das geschah 1727 bis 1741.
Das katholische Kloster wurde 1817 aufgehoben und in der Folge durch den
preußischen Staat als Lehrerbildungsanstalt genutzt.
Unsere Fahrt dorthin ging über Eisenhüttenstadt, wo ich 40 Jahre lang lebte.
Wir hielten hier nicht an. Viele Erinnerungen kamen gingen mir durch den
Kopf.
Ich schaute im Vorbeifahren traurig von der Straße aus zum Friedhof hinab,
wo
einst - vor nun schon 42 Jahren - mein Mann beerdigt wurde. Auch
Schwiegermutter und Schwiegervater fanden dort ihre letzte Ruhe.
Sehr überrascht war ich dann von dem, was sich dort in kurzer Zeit verändert
hat:
Etliche Häuser waren abgerissen, wichtige Stätten, wie das ehemalige
Interhotel, wirken verlassen und ungepflegt. Die einst gut besuchte
Gaststätte „Aktivist“ und das Cafe nebenan sind noch nicht wieder aufgebaut
und verfallen immer mehr
– schade darum!
Und das neue große Möbelkaufhaus „Roller“ ist nun eine Brandruine - nur die
anderen Verkaufstempel ringsum stehen noch.
Als wir in Neuzelle (es ist von Eisenhüttenstadt nur 8 km entfernt)
einfuhren, bemerkte ich auf dem Dach eines Hauses einen symbolischen Ziegen-Kopf.
Ich macht meine Kinder darauf aufmerksam: „Neuzelle hatte einst den Namen
Zickenzelle, weil von den früheren Bewohnern viele Ziegen gehalten wurden.“
Wir parkten dann neben der Brauerei.
In der 1589 gegründeten Klosterbrauerei wird ausschließlich dunkles Bier
erzeugt. Nach der politischen Wende 1989 entstand ein großer Streit um
dieses Getränk, da es nicht exakt nach dem bierischen deutschen
Reinheitsgebot nur mit Hopfen, Malz und Wasser erzeugt wurde, sondern auch
etwas Honig (oder etwas anderes – da bin ich mir nicht sicher) enthielt. Das
schmeckte zwar allen Leuten gut, durfte aber eben nicht „Bier“ heißen.
Man lag dann jahrelang im Rechtsstreit mit den Genehmigungsbehörden, und
behalf sich in dieser Zeit mit Flaschenaufdrucken wie „Schwarzer Abt“, „Brandenburger
Amtsposse“ oder „Schwarz …“ (die drei Punkte stehen für Bier, das nicht
genannt werden darf).
Wie die Sache eigentlich inzwischen ausging, weiß ich nicht – für das
Firmenimage und den Absatz jedenfalls war der Konflikt eher zuträglich und
kostenlose Werbung, weil die Brauerei auf diese Weise ständig in die Medien
präsent kam.
1996 wurde hier auch ein Badebier entwickelt, das sehr gern benutzt wird,
denn es soll gegen das vorzeitige Altern wirken. Ich hätte es ja selbst gern
mal ausprobiert hatte aber leider nie Gelegenheit dazu; auch am 3.4.10
leider nicht. Ich fragte aber an diesem Tag auch nicht in diese Richtung –
die Familie hätte mich für übergeschnappt gehalten!
Der Weg zur Kirche war für mich durch das holprige Pflaster des Klosterhofes
etwas beschwerlich, und mein Enkel musste mir den Rollator schieben helfen.
Dafür begeisterte mich aber der Anblick der renovierten Kirche dann umso
mehr – sie ist - innen und außen - ein bauliches Meisterwerk! Eine große
Freude war mir auch der nun endlich renovierte Kloster-Park.
Hier setzte ich mich auf eine hoch gelegene Bank, von welcher aus ich auch
die Umgebung und die vorbei fahrenden Züge beobachten konnte und einen guten
Blick über die weite Oderaue hatte.
Meine Familie frönten inzwischen selbst einer Jugenderinnerung: Sohn Klaus
zeigte Frau und Sohn, wo er als Kind Mutsprünge vom hohen Turm ins
Badewasser wagte. Denn: In Neuzelle gibt es - direkt neben dem Kloster -
auch eine Badeanstalt mit Bademeister und Sprungturm. Ich war nie selbst
dort, aber, aber vor Jahrzehnten sind mein Sohn und meine Tochter - als sie
noch Kinder waren - gern und oft mit dem Fahrrad hingefahren und haben viel
davon erzählt.
Bei der Rückfahrt ging es wieder durch viele bekannten Dörfer und Gegenden,
wo ich einst Pilze und Blaubeeren sammelte. Und: Mit unserer Wandergruppe
haben wir in der Umgebung des schönen Schlaubetals viele Wanderungen
unternommen.
Als Abschluss ging es in eine Waldgaststätte ein. Zunächst saßen wir draußen
im abendlichen Sonnenschein, aber als die Sonne unterging, wurde es uns hier
zu ungemütlich, und wir wechselten in die Gaststube über.
Für mich war diese Fahrt durch die vielen Erinnerungen und tollen Eindrücke
ein schönes Ostererlebnis. Ich freue mich schon auf’s nächste Mal!
Lydia Radestock, im April 2010
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